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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gespenster? Hielt er ihn vielleicht sogar für einen harmlosen Verrückten, den man, falls er wider Erwarten doch völlig ausklinkte, mit einem schnellen Griff unter Kontrolle bringen musste? Dann war diese Geste vielleicht gar nicht als Beruhigung gemeint, sondern hatte eine ganze andere Bedeutung ...
    Lundgrens erste Worte schienen Ravens schlimmste Befürchtungen zu bestätigen.
    »Weißt du, dass deine Geschichte wie ein schlechter Horrorroman klingt?«, erkundigte sich der schwedische Kriminalist. »Kristallschädel, in denen die Geister jahrmilliardenalter Magier schlummern, bis sie plötzlich hervorbrechen und anfangen, Seelen zu fressen ... Nach dem bisherigen Stand der Naturwissenschaften ist das alles höherer Blödsinn, darüber bist du dir doch wohl im Klaren?«
    Unwillkürlich nickte Raven, obwohl er nicht wusste, ob Lundgren diese Bewegung bei der herrschenden Beleuchtung erkennen konnte. Natürlich kannte er diese Einwände selbst, und er hatte auch damit gerechnet, dass Lundgren sie vorbringen würde. Die Crux bei der ganzen Angelegenheit war, dass er keine Beweise hatte - nichts, was sich vorzeigen und von einem ungläubigen Thomas anfassen ließ. Er konnte nur erzählen, was er selbst gesehen und erlebt hatte. Und das hörte sich in der Tat wie ein Roman an.
    Täuschte er sich übrigens, oder verstärkte sich der Griff des Polizisten um seine Schulter?
    »Trotzdem«, fuhr Lundgren übergangslos fort, »glaube ich dir.«
    Raven war wie vor den Kopf geschlagen. Lundgren glaubte ihm? Ein ungläubiges Lachen wollte aus seiner Kehle aufsteigen, aber er beherrschte sich und drängte es zurück.
    Das kann nicht die Wirklichkeit sein, dachte Harald Münzschläger mit vor Entsetzen wie betäubtem Gehirn. Das muss ganz einfach ein Albtraum sein. Gleich werde ich aufwachen, im Schlafzimmer meiner Wohnung bei Düsseldorf, und neben mir wird Susanne liegen und meine Hand halten, und dann werde ich das alles vergessen und nie wieder davon träumen, ja nicht einmal mehr daran denken ...
    Am liebsten hätte er laut geschrien, aber die Starre, die seinen Körper nun schon zum zweiten Mal in wenigen Tagen befallen hatte, machte ihm so etwas unmöglich. Sie hinderte ihn auch daran, den Blick von der scheußlichen Szene abzuwenden, die sich seinen weit aufgerissenen Augen darbot.
    Die Fläche aus geronnenem Menschenblut im Zentrum des Pentagramms, auf die er unverwandt starren musste, hatte sich jäh verändert. Zuerst war sie lange Zeit eine stumpfe, trübrote Pfütze gewesen, dann für etliche Minuten ein heller, klarer Spiegel. Und jetzt ...
    ... jetzt war sie ein bodenloser Abgrund, in dessen Tiefe etwas lauerte.
    Harald Münzschläger konnte dieses Etwas nicht sehen, aber er konnte es spüren. Und ein Sinn, von dessen Existenz er nie zuvor geahnt hatte, sagte ihm, dass es böse war - ja, abgrundtief böse, in des Wortes wahrster Bedeutung!
    Was er jedoch sehen konnte, war der schlaffe Leichnam des alten Schiffers, der sie vor einer Zeit, die sich nicht in Stunden messen ließ, nach Godsby gefahren hatte.
    Auch mit der Leiche ging nun eine erschreckende Veränderung vor sich.
    Hatte sie bisher die ganze Zeit reglos geschwebt, so begann sie jetzt, ihre Position zu verändern. Langsam, unendlich langsam sank sie dem gähnenden Abgrund mit dem lauernden, unmenschlichen Etwas darin entgegen - und dabei bewegten sich ihre Gliedmaßen und ihr Kopf auf und ab, beinahe so, als wogten sie in einer unsichtbaren Dünung.
    Herr im Himmel, warum wache ich denn nicht endlich auf?, wimmerte Harald Münzschläger, aber kein Ton davon drang nach draußen. Seine Lippen blieben versiegelt, und seine Schreie verhallten ungehört im Innenraum seines eigenen Kopfes. Er hatte das Gefühl, sein Schädel müsse davon zerspringen, aber in Wirklichkeit hatte er die Grenze zwischen Normalität und Wahnsinn noch lange nicht erreicht. Das begriff er, als er feststellte, dass er auch die nächsten Ereignisse noch verarbeiten konnte, ohne dass sich sein Verstand in ein tobendes, ungeformtes Chaos verwandelte.
    Direkt über dem Abgrund blieb der Leichnam des alten Schären-Ole noch einmal reglos in der Luft hängen. Dann wurde er von einer Art Sog nach unten gezogen - auf die Blutlache zu, die nun ein Tor in die Unendlichkeit zu sein schien. Der schlaffe Körper klappte förmlich zusammen und verschwand in der Tiefe.
    Harald Münzschläger erschauerte, wollte die Augen schließen, um das Grauen nicht mehr mit ansehen zu müssen. Doch das

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