Rebellin der Leidenschaft
Frau, die er kannte, besuchte Feste ohne Begleitung, solange sie unter dreißig war, keine Frau ritt in Reithosen, keine Frau sprach wie sie, keine Frau zeigte sich jemals so temperamentvoll, nicht einmal seine letzte Geliebte, eine leicht reizbare Französin. Und keine Frau, keine einzige, jagte einen Mann und schlug ihn mit ihrer Gerte.
Sie hatte alles, was die Frauen seiner üblichen Bekanntschaft nicht hatten, und aus diesem Grund war er wohl auch so fasziniert von ihr.
Das Problem war nur: Er traute sich selbst nicht mehr über den Weg. Er hatte sich in der letzten Woche ihr gegenüber abscheulich verhalten, auch wenn er provoziert worden war. Es war unentschuldbar, dass er sich ihrer mit Gewalt bemächtigt hatte, seine Stärke genutzt hatte, um sich seiner Macht über sie zu vergewissern, dass er sie geküsst und berührt hatte. Und doch hatte ihn nichts davon abhalten können, und er fürchtete, dass es ihm beim nächsten Mal ebenso ergehen würde.
Beim nächsten Mal?
Er musste unbedingt dafür sorgen, dass es kein nächstes Mal gab. Er würde es sich nie verzeihen können, sie zu entehren, unabhängig davon, dass ihr Ruf bereits ziemlich ramponiert war und sie ihn so sehr provoziert hatte. Ihre letzte Begegnung war zu einer barbarischen Verführung geworden. Es würde kein nächstes Mal geben, das schwor er sich.
Er hatte sein Leben lang ehrenhaft gehandelt. Tief in seiner Erinnerung war stets das Wissen vergraben, wie unehrenhaft sein Vater gewesen war. Hätte sein Vater Frauen geliebt, hätte er sich Nicoles schon am allerersten Tag bemächtigt, auf der Wiese neben dem Bach. Aber er war nicht wie sein Vater. Das war er nie gewesen. Er hatte nie eine Frau entehrt; die Frauen, mit denen er sein Lager teilte, hatten alle recht zweifelhafte Moralvorstellungen. Vielleicht hatte er sein bisheriges Leben damit zugebracht, für die Sünden seines Vaters zu büßen, aber es war ein Leben gewesen, auf das er stolz sein konnte - bis jetzt. Jetzt schwebte er in Gefahr, und das machte ihm Angst.
Er musste sich beeilen. Wenn er sich nicht in allerletzter Minute noch eine Entschuldigung einfallen ließ, dann musste er jetzt aufbrechen. Der Herzog machte sich auf den Weg.
Nicole räkelte sich in ihrem Bett. Sie las gerade einen Aufsatz von Amanda Willison, in dem es um die Notwendigkeit ging, die Bildung und Kleidung von Mädchen zu reformieren. Wie Recht diese Frau hatte, dachte Nicole.
Da klopfte es an ihrer Tür und ihre Mutter trat ein. Nicole legte das Buch zur Seite.
Die Gräfin war gestern heimgekehrt. Das war nicht weiter verwunderlich, denn Jane blieb ihrem Gatten nie lange fern und wäre Regina nicht im heiratsfähigen Alter gewesen, wäre Jane überhaupt nicht nach London gereist. Regina war unter Aufsicht der verwitweten Lady Beth Henderson in ihrem Stadthaus am Tavistock Square geblieben. Jane wollte am nächsten Tag wieder nach London, und der Graf beabsichtigte, sich einige Tage später zu ihr gesellen.
»Du bist noch nicht angezogen!«, stellte Jane überrascht fest. Nicole hatte nur ihren Morgenmantel übergestreift und ihr Haar war noch feucht vom Bad.
»Es tut mir Leid. Ich war so gefesselt von meiner Lektüre, dass ich die Zeit vergessen habe. Ist unser Gast schon da?«
»Nein, er hat sich ein wenig verspätet. Ich werde Annie rufen.«
Nicole schlüpfte aus dem Bett, während die Mutter nach dem Mädchen rief, und zog das Kleid aus dem Schrank, das ihr als Erstes in die Hände fiel. Jane kehrte zurück. Sie war klein, schlank und platinblond, und mit ihren einundvierzig Jahren noch immer eine auffallende Schönheit voll angeborener Eleganz. Stirnrunzelnd betrachtete sie das blassblaue Gewand, das Nicole vom Bügel genommen hatte. »Darin kommst du nicht richtig zur Geltung, mein Schatz.«
Nicole zuckte die Schultern. »Wer kommt denn überhaupt zum Abendessen, Mutter? Und warum der ganze Aufstand? Die Köchin fuhrwerkt ja schon den ganzen Nachmittag wie wild in der Küche herum - dort sieht es aus, als würden wir königliche Gäste erwarten!« »Der Herzog von Clayborough«, erwiderte Jane. »Warum ziehst du nicht dein gelbes Kleid an? Oder das grüne?«
Nicole erstarrte. Einen Moment lang glaubte sie, sie habe sich verhört. »Der Herzog von Clayborough?«
»Ja. Also zieh doch das Gelbe an! Ich gehe jetzt lieber wieder hinunter. Er sollte jeden Augenblick eintreffen.«
Nicole nickte, ohne ein Wort zu verstehen. Sie starrte die Türe an, die hinter der Mutter zugegangen war. Dann
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