Reflex
und sagte: »Wie du willst.«
Ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke.
»Schick mir ein paar Rosen«, sagte meine Großmutter.
Wir fanden in der Stadt einen Blumenladen, der noch offen hatte, wenn sie auch schon am Saubermachen waren, weil sie zumachen wollten.
»Ist ihr denn nicht klar, daß wir Dezember haben?« sagte Clare. »Rosen kosten zur Zeit ein Vermögen.«
»Glaubst du, du würdest dir darüber Gedanken machen, wenn du im Sterben lägst und gern Rosen hättest?«
»Vielleicht nicht.«
Alles, was wir in dem Blumenladen bekommen konnten, waren fünfzehn sehr kleine rosa Knospen auf sehr langen, dünnen Stengeln. Rosen seien im Moment nicht sehr gefragt. Diese seien von einer Hochzeit übriggeblieben.
Wir fuhren zum Pflegeheim zurück und übergaben sie einer Schwester, mit der Bitte, sie sofort zu übergeben, zusammen mit einer Karte, auf der stand, daß ich nächste Woche schönere besorgen würde.
»Sie hat es nicht verdient«, sagte Clare.
»Arme alte Frau.«
Wir übernachteten in einem Gasthaus an der Themse, mit alten Balken, gutem Essen und Zimmerfenstern, die auf kahle Weiden und träges braunes Wasser hinausgingen.
Niemand kannte uns. Wir trugen uns als Mr. und Mrs. ein, aßen ausgedehnt zu Abend und zogen uns unauffällig auf unser Zimmer zurück. Es sei nicht das erste Mal für sie, sagte sie, ob es mir etwas ausmache? Ich sagte, es sei mir sogar lieber. Keine Vorliebe für Jungfrauen? Überhaupt keine Ticks, soweit ich wüßte. Gut, meinte sie.
Es begann freundschaftlich und wurde immer leidenschaftlicher. Endete in Atemlosigkeit und Gelächter, ebbte ab in Gemurmel und Schlaf. So schön hatte ich es noch nie erlebt. Wie es für sie war, konnte ich nicht sagen. Aber sie hatte nichts gegen eine Wiederholung am Morgen.
Am Nachmittag besuchten wir in friedlichem Einklang Jeremy.
Er lag in einem Einzelzimmer auf einem hohen Bett, eine gewaltige Ausrüstung zur künstlichen Beatmung neben sich. Aber er atmete aus eigenen Kräften, mit seinen eigenen Lungen. Eine Vorsorgemaßnahme, schätzte ich, da während unseres Besuches alle zehn Minuten eine Schwester hereinkam, um sich zu vergewissern, daß der Klingelknopf auch die ganze Zeit unter seinem Finger war.
Er wirkte noch magerer als sonst und blaßgrau, aber sein Verstand hatte nicht gelitten. Die Augen blickten so intelligent wie eh und je, und die Trottelmasche wurde heftig bemüht zur Überspielung seiner unwürdigen Lage. Bei jedem Kontrollgang mußte die Schwester eine Ladung ermüdendes Geschwafel über sich ergehen lassen.
Ich versuchte, mich für das, was er durchgemacht hatte, zu entschuldigen. Er wollte nichts davon hören.
»Vergessen Sie nicht, daß ich aus freien Stücken da war«, sagte er. »Niemand hat mich dazu genötigt.« Er sah mich prüfend von oben bis unten an. »Ihr Gesicht sieht gut aus. Wieso heilt das bei Ihnen so schnell?«
»Das tut’s immer.«
»Immer …« Er lachte kurz auf. »Komisches Leben führen Sie. Ständig am Heilen.«
»Wie lange müssen Sie noch hier bleiben?«
»Drei oder vier Tage.«
»Länger nicht?« sagte Clare überrascht. »Sie sehen … ähm …«
Er sah weißer aus als das Kissen, auf dem sein Kopf lag. Aber er nickte und sagte: »Ich kann viel besser atmen. Wenn keine Gefahr mehr besteht, daß die Nerven noch einmal versagen, kann ich gehen. Sonst ist alles in Ordnung.«
»Ich fahre Sie nach Hause, wenn Sie einen Fahrer brauchen«, sagte ich.
»Ich komme darauf zurück.«
Wir blieben nicht lange, weil das Reden ihn sichtlich ermüdete, aber kurz bevor wir gingen, sagte er: »Dieses Gas hat unheimlich schnell gewirkt. Nicht so langsam wie das Gas beim Zahnarzt. Mir blieb keine Zeit zu reagieren … als hätte ich eine Backsteinmauer eingeatmet.«
In die kurze nachdenkliche Stille hinein sagte Clare: »Keiner hätte das überlebt, wenn er allein gewesen wäre.«
»Woraus man schließen kann …«, sagte Jeremy fröhlich.
Als wir zum Gasthaus zurückfuhren, sagte Clare: »Du hast ihm nicht von Amanda erzählt.«
»Das hat Zeit.«
»Er ist am Sonntag vorbeigekommen, weil er die Nachricht bekommen hatte, daß du sie gefunden hast. Er hat’s mir erzählt. Er hat gesagt, daß dein Telefon nicht in Ordnung war und er deshalb gekommen ist.«
»Ich hatte den Stecker rausgezogen.«
»Sonderbar, wie das Leben so spielt.«
»Mhm.«
Unsere zweite Nacht war eine Bekräftigung der ersten. Ziemlich ähnlich und doch neu und anders. Prickelnd, wild, sanft,
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