Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug
seinen Augen. Im Schein heller Halogenscheinwerfer standen zahlreiche Lieferwagen und Kombis mit Satellitenantennen auf den Dächern. Christian erkannte die Logos mehrerer Fernsehsender: RTL, SAT1, PRO7, RAI. Deutsche und Italiener waren am stärksten vertreten. Zwischen den Fahrzeugen liefen Techniker, Kameraleute und Reporter umher.
Der blaue Schein der Nacht verstärkte die seltsame Atmosphäre. Die dahinsiechende Stadt war überraschend zu neuer, surrealer Betriebsamkeit erwacht. Aus den Fenstern lugten neugierige Gesichter, und wild bellende umher streunende Hunde liefen durch die Gassen. Sie hatten die Vormacht über das nächtliche Kopfsteinpflaster an die Journalisten verloren. Einige Einwohner von Pjevac hatten sich auf die Balkone gewagt, Ausrufe des Erstaunens hallten von Haus zu Haus, und beim Lamentieren über das Spektakel wurde wild mit den Händen gestikuliert.
Christian und Rebecca gelangten über mehrere enge Gassen zu einem anderen, kleineren Platz, auf dem ebensolches Gewimmel herrschte wie auf dem vorigen, aber ohne den hell ausgeleuchteten Medienzirkus: Hier waren Polizisten, Soldaten und Angehörige der Rettungsmannschaften versammelt. Militärstiefel, Tarnanzüge, Mützen und Kalaschnikows füllten das Blickfeld. Das Ganze erinnerte insgesamt mehr an einen militärischen Einsatz als an eine Rettungsaktion.
Trotz der abweisenden Atmosphäre hätte Christian gerne angehalten, um den nächsten Uniformierten zu fragen, was es Neues gebe. Aber es war sinnlos, Fragen zu stellen, das war Christian längst klar geworden. Diejenigen, die etwas wussten, äußerten sich nur über offizielle Verlautbarungen, und diejenigen, die nichts wussten, verbreiteten Gerüchte.
Sie fuhren weiter, bis sie auf ein Hotel stießen, das seine besten Tage bereits hinter sich hatte. Von der schmutzigen Wand bröckelte der Putz ab, eine gelbliche Lampe beleuchtete ein verziertes Schild: HOTEL JADRAN.
»Sollen wir es hier versuchen?«, fragte Christian. »Das ist sicherlich das Klügste.« Christian hielt nach einem Parkplatz Ausschau, fand aber keinen. Neben der Straße lag ein Rasenstück, auf dem Unkraut wucherte. In der Mitte ragten zwei schmächtige Palmen hervor.
»Versuchen wir es an der Straße, die näher zum Ufer verläuft«, sagte Christian. Sie fuhren ein paar Blocks weiter und bogen in eine schmale, unbeleuchtete Gasse ein, an deren Ende das Meer schimmerte. Eine Querstraße, die in die Richtung des Hotels zurückführte, gab es nicht, dafür grenzte ein leerer Parkplatz ans Ufer. Wellen schlugen gegen die rauen Steine, funkelnde Wasserperlen spritzten zum Nachthimmel auf. Zwei Tropfen landeten auf der Windschutzscheibe des Ford und bildeten sogleich dünne Rinnsale.
Christian und Rebecca stiegen aus, um ein paar Meter zu laufen und ihre müden Glieder zu recken, bevor sie ins Hotel gingen. Der salzige Wind hauchte ihren verschwitzten Körpern etwas Frische ein. Intuitiv vermieden es beide, aufs Meer zu blicken, auch wenn sie nicht wussten, wie weit entfernt der Unglücksort lag. Normalerweise löste der Anblick des Meeres bei Christian den unwiderstehlichen Wunsch aus, zu schwimmen, diesmal jedoch nicht.
»Jemand beobachtet uns von der Gasse aus«, sagte Rebecca.
Christian drehte vorsichtig den Kopf. Er sah gerade noch eine dunkle Gestalt hinter der Ecke eines heruntergekommenen Hauses verschwinden. »So manch ein Einwohner von Pjevac wird sich über all das wundern, schätze ich«, sagte er ruhig, blickte sich aber nach allen Seiten um. In der Stille jenseits des Medienspektakels lag etwas Bedrohliches.
Sie kehrten zum Wagen zurück und wollten gerade die Türen öffnen, als ein junger Mann in Lederjacke aus dem Schatten der Gasse vor ihnen auftauchte.
»Seid ihr Journalisten?«, fragte er in schwerfälligem und etwas schüchternem Englisch. Er hatte ein balkantypisches Aussehen mit starkem Kinn, starker Nase und dichten schwarzen Augenbrauen.
Christian und Rebecca sahen einander an.
»Ja«, sagte Rebecca.
»Ich habe Sachen, die mit dem Unglück zu tun haben.« »Sachen?«
Der junge Mann bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Christian und Rebecca schauten sich erneut an. Christian schüttelte den Kopf.
»Lass uns nachschauen, was er uns zeigen will«, flüsterte Rebecca und schickte sich an, dem Fremden in die Gasse hinein zu folgen. »Ich bin hierhergekommen, um etwas herauszufinden. Wenn ich nur im Hotelzimmer hocke und CNN schaue, hätte ich ebenso gut daheim bleiben können.«
»Wir werden bald
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