Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
das hier die neuesten Songs oder Spiele sind.” Irritiert hielt Elli die CDs hoch, die in schreiend bunten Hüllen steckten. „Kennst du vielleicht jemanden, der Ahnung hat und uns da weiterhelfen kann? Linda möchte ich nicht fragen. Wir sind alle nervös, und die Gerüchteküche droht eh schon überzukochen.”
Linda Kolczewski war für die Schülercomputer zuständig, die sie seit einiger Zeit besaßen. Die zusätzliche Arbeit des Aufstellens und Installierens hatten die Kolleginnen nur zu gerne ihr und einigen engagierten Vätern überlassen.
„Gib her.” Helga besaß zwar keinen eigenen Computer, hatte ihre Abneigung aber längst nicht so kultiviert wie Elli, die als einzige ihre Zeugnisse noch mit der Hand schrieb. Im Gegenteil, sie begann die Vorteile des Internet zu akzeptieren. „Also, das hier sind Spiele. Heute Abend beim Training treffe ich zwei, die nur ein Gesprächsthema kennen, die werde ich bitten, sich das Zeug mal anzusehen.”
„Was ist denn das? Zeig doch mal her!” Neugierig starrte Elli auf das Bild, das Helga noch immer in einer Hand hielt.
„Was? Ach so, das war eben heruntergefallen, als du das Geld gezählt hast.”
„Das ist doch Angela? Wie kommt ihr Foto zwischen das Geld?” Perplex schauten sich beide an. Das Foto zeigte die Kollegin Steinhofer. Wie gelangte es zusammen mit dem Geld und den CDs in den Keller? Helgas Gedanken wirbelten durcheinander.
„Hast du unseren Rektor schon informiert?”
„Natürlich nicht!” Die impulsive Antwort zeigte deutlich, wie wenig Elli von ihrem Chef hielt. Ruhiger fuhr sie dann fort: „Ich denke, den sollten wir im Moment möglichst schonen.”
„Da könntest du Recht haben. Er ist reizbar wie eine Klapperschlange.”
„Deshalb habe ich mich auch selbst mit unserer Thüringer Trantüte angelegt, du weißt schon, damit ich endlich meine Steckdose repariert bekomme, und der erklärt mir doch glatt, Befehle nähme er nur vom Rektor entgegen, kannst du dir so etwas vorstellen?”
Kein Wunder, dass Elli dauernd auf den Hausmeister schimpfte, schließlich zählte auch sie zur Schulleitung. Außerdem gehörte es nun einmal zu seinen Aufgaben, kleinere Reparaturen selbständig zu erledigen.
„Also, dann gib mir die CDs und das Spiel mit.” Helga sehnte sich nach Kaffee. „Was geschieht mit dem Foto und dem Geld?”
„Das werde ich erst einmal behalten”, entschied Elli. „Ich denke, es ist besser, wenn wir das Foto zunächst verschweigen. Aber wir sollten mit Ulrike wegen des Geldes sprechen. Wenn es das ist, was ihr geklaut wurde und wir den Dieb finden, haben wir vielleicht auch eine Erklärung für das Bild. Soll ich mit ihr reden, oder würdest du das übernehmen?”
„Du magst Ulrike nicht, oder?”, fragte Helga, die Ellis Grimasse als Ablehnung deutete. Elli hob die Schultern. „Sie war mal ’ne prima Lehrerin, engagiert und voller Idealismus, wie die meisten von uns. Ich kenne sie seit dem Seminar, das ist nun auch schon … warte mal … über fünfundzwanzig Jahre her. Wir haben damals viel zusammen gearbeitet, uns gemeinsam auf das Examen vorbereitet. Ulrike war absolute Spitze, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Du liebe Zeit, was haben wir die Frau beneidet! Niemand verstand die Kinder so zu motivieren wie sie. Nach der Prüfung kamen wir dann an verschiedene Schulen und verloren uns aus den Augen. Tja, und vor sechs Jahren tauchte sie plötzlich hier auf.” Elli hielt einen Moment inne, bevor sie mit gedämpfter Stimme weitersprach. „Aber jetzt ist nichts mehr mit ihr los, sie ist mit den Nerven am Ende, total ausgebrannt. Ich weiß nicht, wen ich mehr bedauere, die Kinder, die mit ihr zu tun haben oder sie.” Geistesabwesend blickte sie den Flur hinunter. „Ich habe Angst, dass es mir irgendwann ebenso ergehen wird.” Helga war verlegen angesichts dieses offenen Geständnisses. Natürlich wurde während der Pausen über die chaotischen ›Bälger‹ geschimpft, die jeden noch so gut geplanten Unterricht kaputt machten, doch über die mangelnde Autorität der Lehrer, über die wachsende Empfindsamkeit, die viele Kolleginnen bei geringsten Anlässen losbrüllen ließ, über die eigene Nervosität, die ein ruhiges Miteinander oft unmöglich machte, sprach niemand gern, da jeder befürchtete, dies könnte als Schwäche ausgelegt werden. Und gerade Elli Goppel machte einen so resoluten und beherrschten Eindruck, dass Helga nie auf die Idee gekommen war, sie könnte von der Schule gestresst sein.
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