Rheinsteigmord - Kriminalroman
Fred an und machte ein Gesicht, als hätte er in etwas Saures gebissen. »Heute kaufen wir Tonerde in China. Können Sie sich das vorstellen? Auf der anderen Seite der Weltkugel. Wir sitzen hier und kaufen denen Erde ab. Wo wir mit eigenen Gruben angefangen haben. Das Geschäft heute läuft ganz anders. Fragen Sie mal meine Nichte. Unser Ton ist nichts mehr wert. Das Geld steckt in den Rezepten, mit denen wir Neues herstellen. Keramik. Wussten Sie eigentlich, wie viel Keramik im täglichen Leben vorkommt? Keramik ist überall. In Bremsscheiben, Zündkerzen, Kloschüsseln, Kacheln, in elektrischen Geräten – sogar in Kaffeemaschinen und Weckern.«
Fred blickte in sein Notizbuch, schrieb aber nichts mit. Ackermann bemerkte es nicht. Vielleicht war jetzt der Moment gekommen, das Thema anzuschneiden, das Fred wirklich interessierte.
»Sie erwähnten gerade den Ersten Weltkrieg«, sagte er. »Und Ihr Großvater, der Firmengründer, lebte in dieser Zeit.«
»Na klar. Hören Sie, junger Mann, das haben Sie ja nun hoffentlich nachgelesen. Mein Großvater Peter Ackermann kam 1890 zur Welt. Er hat die Firma gegründet und sie aufgebaut. Er starb 1931, das war selbst für die damalige Zeit recht früh, aber er war von Geburt an kränklich. Man nimmt an, er hatte was mit der Lunge, so genau weiß das keiner. Jedenfalls hat es ihn davor bewahrt, in den Ersten Weltkrieg ziehen zu müssen. Er blieb hier zu Hause bei meiner Großmutter, seiner Frau.«
»Er hat trotz seiner Krankheit in der Tongrube gearbeitet?«
»Auf so was hat doch damals keiner Rücksicht genommen. Meine Großmutter unterstützte ihn, wo sie konnte. Und er hatte Arbeiter. Von denen wurden natürlich die meisten in den Krieg geholt. 1920 kam mein Vater zur Welt, Georg Ackermann. Er hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Firma zu einer GmbH gemacht. Das war im Jahre 1960, um genau zu sein. In den Achtzigern, als er sich zur Ruhe setzte, habe ich übernommen.«
»Wem gehört die Firma denn heute? Wenn ich das richtig verstehe, ist Ihre Nichte Gesine Ackermann Ihre Nachfolgerin.«
Ackermann schüttelte den Kopf. »So weit sind wir noch nicht. Aber bei meiner gesundheitlichen Verfassung muss das bald geklärt werden.«
»Muss was geklärt werden?«
Ackermann wirkte ungeduldig, als müsste er etwas in Worte fassen, was er schon viel zu oft erklärt hatte. Und schon so oft in Gedanken gewälzt hatte, dass es ihm zum Hals heraushing.
»Es gibt zwei Ackermann-Linien. Mein Großvater hatte zwei Söhne. Meinen Vater Georg und dessen Bruder Johann. Mein Onkel Johann starb 1949 an Krebs. Gesine ist seine Enkelin.«
Fred malte sich die Familienverhältnisse als Stammbaum in sein Notizbuch. Ackermann sah ihm dabei zu und wartete, bis er den Stift absetzte.
»Mein Großvater hat verfügt, dass die Firma in der Familie bleiben soll, komme, was da wolle. So haben wir es auch immer gehalten. Der derzeitige Inhaber bestimmt den nächsten Erben. Ich war derjenige, der in den Achtzigern die Firma übernahm. Es war eine leichte Entscheidung für meinen Vater, denn Gesine war noch zu jung. Nun muss ich entscheiden, wer der Nächste ist. Gesine oder mein Sohn Simon. Er ist zehn Jahre jünger als sie.«
»Aber Ihre Nichte arbeitet doch in der Firma? Ich habe sie dort besucht. Es machte den Eindruck, als …«
»Als hätte sie was zu sagen? Ja, das hat sie auch. Aber es ist nur eine Anstellung. Nur ein Job, wie die jungen Leute heute sagen würden. Sie hat viel für die Firma getan. Sie hat das Geschäft mit China vorangebracht. Aber mein Sohn Simon hat auch seine Qualitäten. Wenn er auch direkt keine Aufgabe in unserer Firma hat.«
Ackermann machte eine Pause. Ihm schien bewusst zu werden, dass Fred ein Fremder und er drauf und dran war, zu viel von den internen Problemen der Familie preiszugeben.
»›Der Starke ist am mächtigsten allein‹«, sagte er dann. »Das Zitat stammt von Schiller. Aus ›Wilhelm Tell‹. Ich bin allein, aber bin ich auch stark? Keine Ahnung. Ah, da kommt meine Aufpasserin.«
»Sie müssen jetzt gehen, Herr Bleikamp«, hörte Fred die Stimme der Frau in seinem Rücken sagen. Sie blieb neben Ackermanns Liegestuhl stehen.
»Eine Frage noch«, sagte Fred. »Herr Ackermann, gibt es jemanden in Ihrer Familie, der sich mit alten Waffen beschäftigt? Ich meine, der so etwas sammelt? Oder andere Sachen aus dem Ersten Weltkrieg?«
Ackermann runzelte die Stirn. »Was soll die Frage?« Er wandte sich der Frau zu. »Hanna, verstehen Sie die
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