Richter 07
Amtmann Lo geraten war. Er beschränkte sich auf die Bemerkung, daß sein Kollege recht gehabt hatte, wenn er den Fall als eine alltägliche Angelegenheit bezeichnete.
»Fengs Leute teilen diese Meinung nicht, Herr«, sagte Ma Jung, nüchtern urteilend. Er berichtete im einzelnen sein Gespräch mit der Krabbe und dem Krebs. Der Richter antwortete ungeduldig:
»Deine Freunde haben unrecht. Sagte ich dir nicht, daß die Tür von innen zugeschlossen war? Und das vergitterte Fenster sahst du ja selbst. Niemand konnte da hindurchkommen.«
»Aber ist es nicht ein merkwürdiges Zusammentreffen, Herr, daß beim Selbstmord von Taus Vater, den dieser vor dreißig Jahren in dem gleichen Raum beging, der alte Kuriositätenhändler ebenfalls hier in der Nachbarschaft gesehen wurde?«
»Deine beiden amphibischen Freunde haben sich in ihren Haß gegen Wen verrannt, den sie als den Nebenbuhler ihres Chefs betrachten. Offenbar führen sie im Schilde, den Händler Wen in Ungelegenheiten zu bringen. Heute abend war ich mit ihm zusammen und muß zugeben, daß er ein unangenehmer alter Kerl ist. Ich trau’ ihm schon zu, daß er dem Feng entgegenarbeitet und versucht, ihn aus seiner Stellung als Vorsteher der Paradiesinsel zu verdrängen. Aber Mord ist doch etwas anderes! Und warum sollte er den Mord des Akademikers wünschen, ausgerechnet des Mannes, auf dessen Hilfe er angewiesen war, um Feng kaltzustellen? Nein, mein Freund, deine zwei Gewährsleute haben sich widersprochen. Und lokale Zwistigkeiten und Reibereien müssen wir vor allem aus dem Spiel halten.« Er sann eine Weile nach und strich sich nachdenklich den Bart. Dann faßte er seine Gedanken zusammen und sagte: »Was die beiden Helfer Fengs dir über das Auftreten des Akademikers während seines hiesigen Aufenthaltes sagten, rundet das Bild ausgezeichnet ab. Ich bin der Frau begegnet, wegen der er sich das Leben nahm. Sogar zweimal traf ich sie, unglücklicherweise!«
Nun erzählte er ihm die auf der Veranda des Roten Pavillons geführte Unterhaltung und fügte hinzu:
»Der Akademiker mag ein befähigter und gelehrter Mann gewesen sein, aber als ein guter Frauenkenner hat er sich nicht erwiesen. Obwohl die Blumenkönigin als eine auffallende Schönheit anerkannt werden muß, ist sie im Herzen gefühllos und launisch. Dem Himmel sei Dank, daß sie nur in der zweiten Hälfte am Festmahl teilnahm. Immerhin, die Speisen waren ausgezeichnet, und die Unterhaltung mit Tau Pan-te und einem jungen Poeten namens Kia Yu-po war recht anregend.«
»Das ist der Unglücksrabe, der sein ganzes Geld am Spieltisch verlor!« rief Ma Jung aus. »Noch dazu an einem Abend!«
Richter Di zog die Augenbrauen hoch.
»Wie merkwürdig! Feng sagte mir, daß Kia in Kürze seine einzige Tochter heiraten würde!«
»Schön, jedenfalls ist das für jemanden ein Weg, seinen Verlust wieder hereinzuholen!« sagte Ma Jung mit schlauem Grinsen.
Vor der Herberge zur »Ewigen Wonne« wurde ihre Sänfte niedergesetzt. Ma Jung ergriff eine Kerze vom Ladentisch, worauf sie über den Hof gingen und den Garten durchschritten, bis sie zu dem dunklen Gang kamen, der zum Roten Pavillon führte.
Richter Di öffnete die geschnitzte Tür des Vorzimmers. Plötzlich blieb er mäuschenstill stehen. Er wies auf den Lichtstrahl hin, der auf der linken Seite unter der Tür des Roten Zimmers hervorkam, und sagte mit leiser Stimme:
»Wie seltsam! Ich weiß bestimmt, daß ich die Kerzen ausgelöscht habe, ehe ich wegging.« Er beugte sich vor und setzte hinzu: »Auch der Schlüssel, den ich stecken ließ, ist fort.«
Ma Jung legte das Ohr an die Tür.
»Nichts zu hören! Soll ich pochen?«
»Laß uns erst einen Blick durchs Fenster werfen.«
Rasch gingen sie durchs Wohnzimmer auf die Veranda hinaus und näherten sich auf den Zehenspitzen dem vergitterten Fenster. Ma Jung stieß einen Fluch aus.
Auf dem roten Teppich, vor der Bettstelle ausgestreckt, lag ein nackter Frauenkörper. Auf dem Rücken liegend, zeigte die Gestalt ihre ausgebreiteten Arme und die von sich gestreckten Beine, während sie den Kopf abgewandt hielt.
»Ist sie tot?« fragte Ma Jung flüsternd.
»Ihre Brust bewegt sich nicht.«
Der Richter preßte sein Gesicht gegen die Eisenstangen. »Schau, der Schlüssel steckt im Schloß!«
»Das gibt den dritten Selbstmord in diesem Teufelszimmer!« rief Ma Jung klagend aus.
»Ich bin nicht sicher, ob es Selbstmord ist«, murmelte Richter Di. »Ich glaube, ich sehe einen blauen Flecken an ihrem Hals. Geh
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