Ruf der Vergangenheit
stark.“
„Ja.“ Sie legte die Hände auf seine Brust, trat einen Schritt zurück und löste sich aus seinen Armen. „Wissen Sie was? Manchmal ist mir, als sei ich einmal von einem Panther gejagt worden.“
Der plötzliche Themenwechsel brachte ihn kurz aus dem Takt. Dann begriff er. „Wollen Sie, dass ich herausfinde, ob so etwas geschehen ist?“ Er spürte ihren Körper immer noch wie ein verborgenes Brandzeichen, eine zutiefst verstörende Empfindung.
„Wenn Sie das können. Ich muss wissen, ob ich mich auf die Bilder in meinem Kopf verlassen kann.“ Sie rieb ihre Handflächen an der Vorderseite ihrer Jeans. „Es ist eine eigenartige Erinnerung. Vielleicht sind all meine Erinnerungen nur Hirngespinste.“
Dev glaubte das nicht. Er kannte einen Gestaltwandler-Panther – aber warum zum Teufel sollte Lucas Hunter, das Alphatier der Leoparden, Katya in seiner Tiergestalt verfolgt haben? „Meinen Sie, Sie kommen mit Treppen klar?“
Katya überlegte. „Ich glaube schon. Mit Treppen gelangt man immer irgendwohin.“
Das sagte ihm mehr über ihre Gefangenschaft als alles andere. In jeder Faser seines Leibes spürte er eine Wut, die er nicht zeigen durfte. Er bückte sich, ergriff die Tasche und hielt ihr die Hand hin. Nie hätte er gedacht, dass ihm diese Geste so leichtfallen würde. Sie griff sofort zu, ganz anders, als Mediale es für gewöhnlich taten. Die Silentium-Gattung enthielt sich jeglicher Berührungen, wenn es vermeidbar war. Körperkontakt war ihrer Meinung nach ein zu dünnes Eis, das leicht auch auf anderen Ebenen zu Empfindungen führen könne. Doch Katya verlangte ganz offen nach Kontakt.
Kein Licht, keine Geräusche, keine Berührungen und keinen Kontakt zum Medialnet.
Er schloss seine Finger um die ihm nun schon vertraute, warme Hand und hielt die Tür zum Treppenhaus auf, bis sie ihm durch ein Kopfnicken bedeutete, dass alles in Ordnung war. Und obwohl sie seine Hand so fest hielt, dass die Adern an ihrer Hand hervortraten, blieb sie nicht ein einziges Mal stehen – er war sich nicht sicher, ob sie überhaupt Luft holte – bis sie in der luftigen Lobby standen.
Beim Anblick der hohen, lichtdurchfluteten Halle schnappte Katya staunend nach Luft, was Dev wieder einmal die Schönheit des Gebäudes zu Bewusstsein brachte. Der mit Solarpaneelen bestückte Turm über ihnen war etwas kleiner als die Grundfläche des Gebäudes, das war der Clou des Ganzen. Die freibleibende Fläche hatte der Architekt dazu genutzt, die Lobby mit Licht zu füllen – gläserne Bogengänge überdachten sowohl den Eingang als auch den großen Empfangsbereich. Zur ökologischen Ausstattung des Gebäudes gehörte das üppig rankende, gesunde Grün über dem Glas, das von einer zweiten Glaskuppel geschützt wurde.
An einem wolkenlosen Tag wie diesem war es, als würde man über eine sonnendurchflutete Lichtung schreiten. Glasscheiben und Spiegel waren so genial angeordnet, dass das einfallende Licht optimal genutzt wurde. Auf diese Weise wurde nicht nur die benötigte Menge an künstlichem Licht während des Tages minimiert, so dass Shine viel Solarstrom ins Netz einspeisen konnte, sondern auch das ganze Erdgeschoss von warmem, goldenem Licht durchflutet.
Dieser goldene Schimmer tauchte Katyas blasses, fast durchscheinendes Gesicht in schmeichelndes, sanftes Licht, als sie gebannt stehen blieb. „So viel Licht.“ Sie streckte die Hand aus, als wollte sie es berühren. „Es ist so hell hier oben.“
Dev beobachtete sie, und in seinem Inneren kochte es, nicht etwa, weil diese Frau die Feindin schlechthin war, sondern weil sie in absoluter Dunkelheit gefangen gehalten worden war. Niemand hatte das Recht, einem anderen so etwas anzutun.
Niemand.
Doch … denn er wusste, dass jeder „Kontakt“ mit Metall – und inzwischen auch mit Maschinen – ihn einen Schritt näher zu jener Gefühllosigkeit brachte, die auch der grässlichsten Folter zustimmen würde. Als er seine Urgroßmutter Maya das letzte Mal besucht hatte, hatte sie die Hände gerungen und ihn gebeten, ihn angefleht, sich selbst zu schützen, um „menschlich zu bleiben“. Aber genauso wenig wie ein Empath Gefühle abwehren konnte, konnte Dev sich dem Metall entziehen. Denn es war sein Schutz.
Und wenn dieser Schutz allmählich seine Menschlichkeit verdrängte … dann war Dev bereit, diesen Preis zu zahlen, um seinem Volk Sicherheit zu schenken. Doch beim Anblick von Katya wehrte sich etwas in ihm dagegen. Ihr Gesicht war immer noch der
Weitere Kostenlose Bücher