Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
auch.«
20
Heimkehr
Wolkenfetzen zogen, von einem harten Wind getrieben, am hellen Mond vorbei, als Seregil und Alec sich auf den Weg zum ›Hahn‹ machten. Derselbe kalte Wind pfiff auch durch die Straße der Goldenen Helme. Die Laternen knarrten an ihren Haken und warfen tanzende Schatten.
Seregil hatte die Absicht, seine erste Nacht in Freiheit zu genießen. Er hatte Nysanders Angebot, ihnen Pferde zu leihen, abgelehnt. Allerdings ließ er Alec das Gepäck tragen. Als der Wind ihnen durch die Umhänge fuhr, war ihm zwar kalt, aber er fühlte sich gut.
Rhíminee nach Einbruch der Dunkelheit. Hinter kunstvoll verzierten Wänden und an düsteren Gassen fanden sich tausend Gefahren und Genüsse. Sie kamen an einer Laterne vorbei, und Seregil erkannte ein ihm nicht fremdes Glitzern in Alecs Augen; nun, vielleicht hatte er doch gut gewählt?
Als sie jedoch das Rondell des Astellus erreicht hatten, mußte sich Seregil eingestehen, daß sein Körper doch noch weniger erholt war als sein unternehmungslustiger Geist.
»Ich würde gerne etwas trinken«, sagte er und trat in den Schatten der Kolonnaden.
Die lilienförmigen Kapitelle der Marmorsäulen trugen einen mit einem Fries geschmückten Ziergiebel am unteren Rand einer Kuppel. Innerhalb der Kolonnaden formten konzentrisch zulaufende Kreise eine Treppe hinab zur Quelle, die klar und frisch aus dem Fels tief unten entsprang.
Sie knieten sich nieder, legten die Handschuhe ab und schöpften das süße, eiskalte Wasser.
»Du zitterst«, stellte Alec besorgt fest. »Wir hätten die Pferde nehmen sollen.«
»Zu Fuß gehen tut mir gut.« Seregil setzte sich auf eine Stufe und zog den Umhang enger. »Erinnere dich stets an diese Nacht, Alec. Nimm sie in dir auf, und empfiehl sie deinem Gedächtnis! Es ist deine erste Nacht auf den Straßen von Rhíminee!«
Alec setzte sich zu ihm und blickte seufzend in die wilde Schönheit der Nacht. »Es ist, als stünde ich am Anfang eines Weges, obwohl wir schon eine Woche hier sind.«
Er schwieg, und Seregil bemerkte, wie er zur Straße des Lichts hinübersah. Jenseits des runden Platzes leuchteten einladend die bunten Laternen hinter den dunklen Umrissen des Torbogens.
»Ich hatte dich neulich etwas fragen wollen«, sagte Alec. »Dann habe ich es vergessen, und jetzt erst fällt es mir wieder ein.«
Seregil lächelte in der Dunkelheit. »Du willst wissen, was hinter diesem Torbogen liegt, nehme ich an? Man nennt sie die Straße des Lichts, und du verstehst gewiß, warum.«
Alec nickte. »Ein Mann auf der Straße sagte mir dasselbe. Dann machte er eine witzige Bemerkung, als ich ihn nach der Bedeutung der Farben fragte.«
»Sagte er, du seist zu jung dafür?«
»So in etwa, ja. Was meinte er damit?«
»Hinter diesen Mauern findet man die feinsten Bordelle und Spielhöllen Skalas.«
»Oh.« Es war hell genug, daß er sehen konnte, wie sich die Augen des Jungen weiteten, als er zusah, wie viele Reiter und Kutschen den Torbogen passierten.
»Ja, oh.«
»Was bedeuten die verschiedenen Farben, ich kann darin kein Muster erkennen?«
»Sie dienen nicht nur der Dekoration. Die Farbe der Laterne am Tor weist darauf hin, welche Wonnen den Gast in dem Haus dahinter erwarten. Ein Mann, der die Gesellschaft einer Frau sucht, wählt ein Haus mit rotem Licht. Verlangt es ihn nach männlicher Begleitung, so wendet er sich dem grünen Licht zu. Bei Frauen ist es nicht anders; Bernstein für männliche Gesellschaft, weiß für weibliche.«
»Wirklich?« Alec stand auf und ging zum Ende des Brunnens, um besser sehen zu können. Als er sich Seregil wieder zuwandte, wirkte er verwirrt. »Es gibt etwa ebenso viele grüne und weiße wie die anderen.«
»Ja?«
»Aber es ist doch …« Er wußte nicht, wie er fortfahren sollte. »Ich meine, ich hörte von solchen Dingen, aber ich glaubte nie, daß sie so – so normal sein könnten. Im Norden ist das anders.«
»Nicht so sehr, wie du denkst«, erwiderte Seregil und machte sich auf den Weg zur Straße der Korngarbe. »Eure dalnasischen Priester mißbilligen solche Verbindungen und berufen sich dabei auf Unfruchtbarkeit …«
Alec zuckte die Schultern. Er wußte nicht, was er davon halten sollte. »Das stimmt doch auch.«
»Das hängt davon ab, was man hervorbringen will«, bemerkte Seregil mit kryptischem Lächeln. »Illior lehrt uns, das Beste aus allem zu machen; ich hielt das stets für eine äußerst schöpferische Philosophie.«
Als Alec nach wie vor zweifelnd dreinsah,
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