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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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Anbeginn der Zeit keine zwei gleichen Schneeflocken entstanden waren.
    Ich starrte aufs Fenster. Barsten nun bald alle acht Scheiben auf einmal, zersplitterten die Sprossen dazwischen, brach schließlich der ganze Rahmen aus der Wand, und kletterte dann das Ding da draußen herein, umhüllt von einem Trümmerregen?
    Ich wünschte mir sehnlichst, nun wieder vierhundert Liter geschmolzenen Teer oder ein wütendes, schieläugiges Frettchen zur Hand zu haben – oder wenigstens einen Toaster.
    Abrupt bog die Erscheinung sich vom Fenster weg und veränderte ihr Knochenmuster so, dass sie nun keinen unheilvollen Anblick mehr bot. Dennoch dachte ich, sie würde sich so arrangieren, um sich besser durchs Fenster stürzen zu können, doch der Angriff blieb aus. Die Brut des Sturms wurde wieder zu einem bleichen, verschwommenen Etwas, dessen bebendes Potenzial hinter der vereisten Scheibe zurückwich.
    Schon einen Augenblick später war das Ding offenbar in den Sturm zurückgekehrt. Kein zuckender Schatten fiel mehr aufs Fenster, dessen acht Scheiben so leblos waren wie auf einen toten Sender eingestellte Fernsehbildschirme.
    Eines der gläsernen Rechtecke hatte einen Sprung.
    Ich glaube, in diesem Moment wusste ich, wie sich das in der Brust eines Hasen hüpfende Herz anfühlt, wenn ein Kojote vor ihm steht und Zähne bleckt, die fleckig vom jahrelang genossenen Blut sind. Es fühlt sich an, als hätte es ein eigenständiges Leben.
    Im Sturm erhob sich keinerlei Geheul. Nur der Wind ächzte am Fenster und pfiff durch den Türspalt.
    Obwohl ich an Begegnungen mit dem Übernatürlichen gewöhnt war, verspürte ich nach diesem äußerst unwahrscheinlichen Ereignis gleichermaßen Verwunderung und Zweifel. Zu
der Angst vor der Aussicht, noch einmal dieselbe Erfahrung zu machen, gesellte sich ein Drang, mehr zu sehen und vor allem zu begreifen, was geschehen war.
    Konkret drückte dieser Drang sich darin aus, dass ich die Tür aufschließen und öffnen wollte. Ich leistete ihm Widerstand und hob weder einen Fuß noch eine Hand. Stattdessen stand ich einfach mit eng verschränkten Armen da, als wollte ich mich selbst zusammenhalten, und tat lange, zittrige Atemzüge, bis Schwester Maria Clara eintraf und mich höflich aufforderte, die Winterstiefel auszuziehen.

16
    Da ich unverwandt aufs Fenster blickte, zu verstehen versuchte, was ich gerade gesehen hatte, und mir im Stillen gratulierte, weil ich noch saubere Unterwäsche trug, hatte ich gar nicht bemerkt, wie Schwester Maria Clara in den Raum getreten war. Sie tauchte hinter mir auf und stellte sich zwischen mich und das Fenster, so weiß und schweigend wie der kreisende Mond.
    Mit ihrem weichen, rosigen Gesicht, ihrer Stupsnase und ihrem leichten Überbiss brauchte sie angesichts ihres Habits nur noch ein paar lange, pelzige Ohren, um als Hase zu einem Kostümfest zu gehen.
    »Kind«, sagte sie, »du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!«
    »Ja, Schwester.«
    »Alles in Ordnung?«
    »Nein, Schwester.«
    Ihre Nase zuckte, als hätte sie einen beunruhigenden Geruch entdeckt. »Kind?«
    Ich hatte keine Ahnung, weshalb sie mich ständig Kind nannte. So hatte ich sie niemand anderen anreden hören, nicht einmal eines der Kinder im Internat.
    Weil Schwester Maria Clara eine liebe, sanfte Person war, wollte ich sie nicht beunruhigen, vor allem, da die Bedrohung vorüber war, zumindest für den Augenblick. Außerdem hatte sie als
Nonne nicht die Handgranaten dabei, die ich brauchte, bevor ich mich wieder in den Sturm wagte.
    »Es ist bloß der Schnee«, sagte ich.
    »Der Schnee?«
    »Der Wind, die Kälte und der Schnee. Ich komme aus der Wüste, Ma’am. An solches Wetter bin ich nicht gewöhnt. Es ist fies da draußen.«
    »Das Wetter ist nicht fies«, korrigierte sie mich lächelnd, »es ist herrlich. Überhaupt ist die Welt wunderschön und herrlich. Zugegeben, die Menschheit kann fies sein und sich von dem abwenden, was gut ist. Aber das Wetter ist immer ein Geschenk.«
    »Na gut«, sagte ich.
    »Schneestürme kleiden das Land in ein sauberes Gewand«, fuhr sie fort, weil sie offenbar merkte, dass ich nicht recht überzeugt war. »Blitz und Donner schaffen eine festliche Musik, der Wind bläst alles weg, was muffig ist; selbst wenn ein Fluss über die Ufer tritt, hilft das dem frischen Grün. Es kann kalt sein oder warm, trocken oder feucht. Zum Ausgleich für den Wind gibt’s Ruhe, und auf die Nacht folgt der Tag. Du meinst vielleicht, das ist etwas völlig anderes

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