Schicksalsfäden
noch. Sie sahen aus wie eine Meerjungfrau: Ein grünes schimmerndes Seidenkleid mit durchsichtigen Ärmeln.«
Eifrig suchte sie im Schrank, bis sie endlich ein Kleid fand, das auf seine Beschreibung passte. Sie nahm es heraus und hielt es ihm hin. »War es dieses hier?«
Er nickte langsam mit einem merkwürdig grimmigen Ausdruck.
Vivien hielt sich das Kleid an den Körper und sah prüfend an sich herab. Es war wirklich ein wunderschönes Kleid, das Grün war so geheimnisvoll wie eine Lagune und am Dekollete wirkte weißer Spitzenbesatz wie schäumendes Meer. Er hatte Recht, dachte sie. Wie eine Meerjungfrau würde sie darin aussehen. Und sie war sogar ein bisschen stolz auf ihren guten Modegeschmack, obwohl sich sicher alle guten Prostituierten auf diesem Gebiet gut auskannten. Das war sozusagen Teil des Geschäfts.
»Ich könnte doch dieses hier auf dem Ball tragen, was meinen Sie?«
»Nein, besser nicht«, sagte er kopfschüttelnd und mit deutlicher Missbilligung in den Augen.
Gedankenverloren hängte Vivien das Kleid in den Schrank zurück. »Wir kamen wohl bei unserem ersten Treffen nicht so gut miteinander aus, oder?«, fragte sie wie beiläufig, während sie weiter die Kleider nach etwas Passendem durchsuchte.
Als er antwortete, klang seine Stimme angespannt. »Erinnern Sie sich etwa an unser erstes Zusammentreffen?«
»Das nicht, aber ich habe Ihr Gesicht gerade beobachtet, und Sie schwelgten nicht gerade in schönen Erinnerungen.«
»Es sind wirklich keine schönen Erinnerungen«, bestätigte er.
»Konnte ich Sie nicht leiden oder Sie mich nicht?«
»Ich glaube, die Ablehnung war damals absolut gegenseitig.«
»Aber warum haben wir dann danach doch mit einander … Also, ich meine, warum gab es dann trotzdem ein Arrangement zwischen uns?«
»Weil ich Sie trotzdem nicht aus meinem Kopf gekriegt habe.«
»Wie Kopfschmerzen, meinen Sie?«, sagte sie und lachte. Sie hatte etwas gefunden und zog drei Kleider aus dem Schrank: ein weißes, ein bronzefarbenes und ein lavendelfarbenes. Alle drei legte sie vorsichtig aufs Bett und begann dann, sie sorgfältig zusammenzufalten. »Ich denke, eines von diesen eignet sich gut.«
»Wollen Sie sie denn nicht probieren?«, fragte er.
»Warum sollte ich? Sie werden schon passen, schließlich gehören sie mir und ich habe nicht zugenommen, oder?«
»Nein, aber Sie könnten etwas abgenommen haben, seit ich Sie aus der Themse gefischt habe.« Er ging zu ihr und legte von hinten probeweise seine Hände um ihre Taille. Er konnte sie fast ganz umfassen. Bei seiner plötzlichen Berührung fuhr Vivien zusammen. Allein dass sie sich in diesem Moment zwischen Grant Morgan und einem seidenbezogenen Bett befand, genügte, um ihre Knie weich werden zu lassen. Erinnerungen an letzte Nacht überfluteten sie: Seine kräftigen, warmen Hände, die zärtlich und doch fordernd ihren nackten Körper erforscht hatten, seine heißen Küsse auf ihren Lippen, ihrem Nacken … Sie unterdrückte ein Schaudern. Es schien, als spürte er in diesem Moment ihre Erregung, denn sein Griff wurde härter, sein Mund näherte sich ihrem Ohr, sie fühlte seinen Atem ihren Hals streicheln.
»Ich muss es wirklich nicht anprobieren«, hauchte sie. »Außerdem kann ich die vielen Knöpfe nicht allein schließen.«
»Ich wäre unter Umständen bereit Ihnen dabei zu helfen«, sagte er ganz nah.
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte sie gespielt empört aber ihre gebrochene Stimme verriet ihre Erregung, die plötzliche wilde Lust die ihr wie eine Faust in den Magen fuhr und sie schwindeln ließ. Eine atemlose Sekunde lang war sie fest entschlossen, sich in seine Arme zurückfallen zu lassen, seine Hände auf ihre Brüste zu legen.
Doch in diesem Augenblick erhaschte sie das Bild des Bettes, vor dem sie standen, in einem Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Und ihr wurde klar, dass dies das Bett war, in dem sie so viele Männer gegen Geld sexuell zu Diensten gewesen war. Sie ekelte sich vor sich selbst und mit einem Mal war alle Lust verflogen.
Wahrscheinlich hatte Morgan seine eigene Vorstellung über ihre professionellen Fähigkeiten im Bett entwickelt, aber konnte sie diesen Ansprüchen jemals genügen? Selbst wenn sie mit ihm hier und jetzt in diesem Bett Sex haben würde? Wie hatte sie es damals gemacht? Für welche sexuellen Sensationen war sie als Prostituierte berühmt gewesen? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie sie die Männer befriedigen konnte. Aber konnte man so etwas
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