Schlangenblut (German Edition)
sondern auch den Willen, der nötig war, um jemanden auf derart grausame Weise zu töten?
Sie beschloss, sich an ihren Fachmann in solchen Dingen zu wenden, und rief Nick an. Sie erklärte ihm, was sie bislang herausgefunden hatten. »Ich habe ja schon von Jugendlichen gehört, die in Gruppen töten oder Amok laufen, aber was ist mit sorgfältig geplantem Mord? Ein Mord, der ausschließlich dem Zweck dient, die eigenen Spuren zu verwischen?«
»Falls sie es war, würde die Tatsache, dass sie zwar ein Opfer ausgesucht hat, das ihr ähnlich sah, aber zugleich solche Einzelheiten wie die Ohrringe übersehen hat, auf eine sehr kindliche Denkweise schließen lassen«, meinte er. »Einerseits alles sauberwischen und Gesicht und Fingerabdrücke vernichten, andererseits nicht an DNA -Analyse und zahnärztliche Aufzeichnungen denken.«
»Genau, wie passt das zusammen?«, fragte Lucy und klopfte mit ihrem Ehering aufs Handy. Sie wünschte, sie könnte sein Gesicht sehen. Oft genug präsentierte Nick nämlich überzeugende Argumente sowohl für als auch gegen eine bestimmte Position, aber an seiner Miene konnte sie immer ablesen, was er wirklich für wahrscheinlich hielt. »In Zeiten, in denen Verbrecher im Fernsehen innerhalb von dreißig Sekunden überführt werden, sollte man doch meinen, dass jedes Kind an so etwas denkt. Mir kommt es vor, als könnte unser Mörder sich nicht allzu lange konzentrieren – er hat brauchbare Ideen, kann sie aber nicht vollständig umsetzen.«
»Wie ein Kind mit ADHS «, ergänzte Nick.
»Oder ein Erwachsener. Ich glaube nicht, dass sie es ist«, erklärte sie kategorisch.
»Also gut.« Sein neutraler Tonfall, der des Therapeuten. Er war also anderer Meinung.
»Das sagt mir mein Bauchgefühl.«
Schweigen. »Wie immer. Schaffst du es zum Mittagessen?«
»Nein.« Selbst wenn sie die Zeit dafür hätte herausschinden können, war ihr nicht danach – während sie an einem derart schmutzigen Fall arbeitete, kam sie sich immer wie verunreinigt vor. Schon der bloße Gedanke, all diesen Dreck mit nach Hause zu bringen, war ihr zuwider. »Geht es Megan gut?«
»Sie hat kein Fieber mehr und lässt nur ein bisschen den Kopf hängen, weil sie vielleicht am Montag nicht zum Fußball kann.«
»Gib ihr einen Kuss von mir und eine Umarmung.« Von ihrem Vater ließ Megan sich noch immer anfassen. Lucy zögerte. Am besten machte sie wohl gleich klar Schiff. »Mein Treffen morgen mit den Kanadiern wurde auf den Vormittag vorverlegt. Ich kann also nicht mit zur Messe.«
Dass er sich nicht einmal die Mühe machte zu seufzen, war ein schlechtes Zeichen. Als hätte er von Anfang an gewusst, dass sie nicht dabei sein würde. »Ich sag’s ihr.«
Sie fühlte sich doppelt schuldig – nicht nur, weil sie ihre Familie wieder einmal allein ließ, sondern auch, weil sie es Nick überließ, die schlechte Nachricht zu überbringen. Wieder einmal. Sie strich über das Telefon und wünschte, es wäre sein Gesicht – oder das von Megan. Was sollte sie auch sonst tun? »Ich liebe dich.«
Sie legte auf und ging wieder nach draußen, wo Burroughs, Dunmar und mehrere andere Polizeibeamte zusahen, wie der Rechtsmediziner den Behälter wegschaffte. Aus der Ferne natürlich.
»Das ist Ihr Opfer.« Sie gab Dunmar das Foto von Noreen und erzählte ihm von dem verschwundenen Wagen. »Sie hat hier gearbeitet und war seit etwa 14 oder 15 Uhr gestern vermisst.«
Dunmar zog eine Braue hoch, als wäre sie eine besonders kluge Schülerin, die ihn überrascht hatte. »Tatsächlich? Verdammter Mist, dass es keine Überwachungskameras oder sonst was gibt, womit wir den Wagen von hier aus aufspüren könnten. Aber ich setze meine Jungs und die Kollegen von der Staatspolizei darauf an, die an den Kameras zur Verkehrsüberwachung sitzen.«
Das hatte zwar nicht allzu viel Aussicht auf Erfolg, war aber einen Versuch wert. Sie blickte am Tastee Treet vorbei auf den extrem dichten Verkehr auf die Route 22. Die Chance war wirklich minimal.
»Ich denke, wir sollten auch sämtliche Stellen im Umkreis von fünf bis zehn Fahrminuten überprüfen, an denen man einen Wagen verschwinden lassen kann. Er konnte kein Interesse daran haben, seinen Wagen längere Zeit hier stehen zu lassen, während er Noreens Auto loswurde.«
Burroughs räusperte sich. » Er ? Könnte nicht ebenso gut Ashley dieses Mädchen getötet und ihren Wagen gestohlen haben?«
»Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen«, räumte Lucy ein. »Falls Ashley
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