Schneewittchen muss sterben
Mann, und sie gingen weiter.
»Ich bin über meine Mitarbeiter gerne gut informiert.« Bodenstein schlug den Mantelkragen hoch. »Das weißt du doch.«
Pia erinnerte sich an ihr morgendliches Gespräch mit Kathrin Fachinger. Die Gelegenheit war ideal.
»Na, dann weißt du ja auch, dass Kollege Behnke einen Nebenjob hat, der ganz sicher nicht offiziell genehmigt wurde.«
Bodenstein runzelte die Stirn und warf ihr einen raschen Blick zu.
»Nein, das habe ich bis heute Morgen allerdings nicht gewusst«, gab er zu. »Du etwa?«
»Ich bin wohl die Letzte, der Behnke etwas erzählen würde«, erwiderte Pia und schnaubte verächtlich. »Er macht aus seinem Privatleben ja immer ein Geheimnis, als wäre er noch beim SEK.«
Bodenstein musterte Pia im fahlen Licht der Straßenlaterne.
»Er hat ziemlich große Probleme«, sagte er dann. »Seine Frau hat ihn vor einem Jahr verlassen, er konnte den Kredit für die Eigentumswohnung nicht mehr bedienen und musste sie aufgeben.«
Pia blieb stehen und starrte ihn einen Augenblick sprachlos an. Das also war die Erklärung für Behnkes Verhalten in der Vergangenheit, für seine ständige Gereiztheit, seine Übellaunigkeit, die Aggressivität. Dennoch verspürte sie kein Mitleid, sondern Verärgerung.
»Du nimmst ihn mal wieder in Schutz«, stellte sie fest. »Was läuft da zwischen euch, dass er so eine Narrenfreiheit hat?«
»Er hat doch keine Narrenfreiheit«, entgegnete Bodenstein.
»Und weshalb darf er sich dauernd Fehler und Nachlässigkeiten erlauben, ohne dass es Konsequenzen hat?«
»Ich habe wohl gehofft, dass er sein Leben irgendwie wieder in den Griff bekommt, wenn ich ihm nicht zu viel Druck mache.« Bodenstein zuckte die Schultern. »Aber wenn er tatsächlich einem nichtgenehmigten Nebenerwerb nachgeht, dann kann ich auch nichts mehr für ihn tun.«
»Du meldest das also der Engel?«
»Ich fürchte, das muss ich.« Bodenstein seufzte und setzte sich wieder in Bewegung. »Allerdings werde ich zuerst mit Frank reden.«
Samstag, 8. November 2008
»O mein Gott.« Dr. Daniela Lauterbach reagierte ehrlich entsetzt, als Bodenstein ihr erklärte, wie er an ihre Telefonnummer gelangt war. Unter ihrer Sonnenbräune wurde sie blass. »Rita ist eine gute Freundin von mir. Bis zu ihrer Scheidung vor ein paar Jahren waren wir Nachbarinnen.«
»Ein Zeuge will beobachtet haben, dass Frau Cramer über die Brüstung der Fußgängerbrücke gestoßen wurde«, sagte Bodenstein. »Deshalb ermitteln wir wegen versuchten Mordes gegen unbekannt.«
»Das ist ja fürchterlich! Die arme Rita! Wie geht es ihr?«
»Nicht gut. Ihr Zustand ist kritisch.«
Dr. Daniela Lauterbach faltete die Hände wie zum Gebet und schüttelte betroffen den Kopf. Bodenstein schätzte sie auf sein Alter, Ende vierzig bis Anfang fünfzig. Sie hatte eine sehr weibliche Figur, das glänzende dunkle Haar zu einem schlichten Knoten frisiert. Mit ihren warmen braunen Augen, die von Lachfältchen umgeben waren, strahlte sie Herzlichkeit und etwas Mütterliches aus. Bestimmt war sie eine Ärztin, die sich noch Zeit für ihre Patienten und deren Belange nahm. Die weitläufige Praxis lag in der Königsteiner Fußgängerzone über einem Juweliergeschäft, große, helle Räume mit hohen Decken und Parkettfußböden.
»Gehen wir in mein Büro«, schlug die Ärztin vor. Bodenstein folgte ihr in einen sehr großen Raum, der von einem wuchtigen, altmodischen Schreibtisch dominiert wurde. An den Wänden bildeten großformatige expressionistische Bilder in düsteren Farben einen ungewöhnlichen, wenn auch reizvollen Kontrast zu der freundlichen Umgebung.
»Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
»O ja, gerne.« Bodenstein lächelte und nickte. »Ich bin heute noch gar nicht zum Kaffeetrinken gekommen.«
»Sie sind früh auf den Beinen.« Daniela Lauterbach stellte eine Tasse unter die automatische Espressomaschine, die auf einer Anrichte neben allerhand Fachliteratur stand, und drückte einen Knopf. Das Mahlwerk begann zu rasseln, und der appetitliche Geruch frisch gemahlenen Kaffees erfüllte die Luft.
»Sie aber auch«, entgegnete Bodenstein. »Und das an einem Samstag.«
Am späten Abend hatte er eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter der Praxis hinterlassen, und sie hatte ihn heute Morgen um halb acht zurückgerufen.
»Am Samstagvormittag mache ich Hausbesuche.« Sie reichte ihm eine Tasse Kaffee, Milch und Zucker lehnte er dankend ab. »Und danach steht üblicherweise der Schreibkram auf dem Programm.
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