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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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eigentlichen Inhalte meiner These verwendete. Da ich seither eine gewisse Erfahrung mit Prüfungskomitees erworben habe, ist mir inzwischen klar, dass meine Prüfer vor einer unlösbaren Aufgabe standen. Eine dummerweise schrecklich überhastete Vorstellung nutzte nichts, und meine Entschuldigung – eine freie Postdoktorandenstelle in den USA – war kein angemessener Grund. Doch selbst eine makellose Ausführung hätte sich nicht auf das von Kastler benannte grundlegende Hindernis ausgewirkt: Mein Hauptthema war ein von jeglichem Mainstream entferntes Thema. Zu dieser Zeit wusste ich noch nicht, dass meine Dissertation wie ein Samenkorn war, aus dem ein mächtiger Baum wachsen sollte.

Das Gute im Schlechten
    Letztendlich bedaure ich mein chaotisches Promotionsverfahren nicht im Geringsten. Es war ein Vorzug, einen Verrückten als Doktorvater zu haben, der mich hinhalten wollte, bis ich in seine eigenen Planung passte. Dies war nur eine von mehreren großen Gelegenheiten in meinem Leben, bei denen ein Element der Ungebundenheit innerhalb eines Systems sich als Segen erwies.
    Die Ironie, 1952 nicht auf der Liste der engeren Auswahl gestanden zu haben, zeigt sich darin, dass dies 1956 keine Rolle mehr spielte. Die Stellenangebote explodierten, überall in Frankreich entstanden Jobs, und jeder noch nicht ganz Dahingeschiedene, der in einem finsteren Winkel schmachtete, kam auf die engere Auswahlliste. Darmois rief an(!), um mir mitzuteilen, dass ich dringend benötigt werde; tatsächlich gestand er mir den Luxus zu, mir Lille aussuchen zu dürfen. Ich konnte in Paris wohnen und in zwei Stunden dorthin pendeln.
    Lässt man diese weit zurückliegenden Ereignisse Revue passieren, ist das unweigerlich amüsant und schmerzlich zugleich. Die Entscheidung für einen Doktortitel in den Naturwissenschaften war eine der vielen kritischen Entscheidungen, denen ich in meinem Leben gegenüberstand, ohne über einen hilfreichen Präzedenzfall zu verfügen. In jedem dieser Fälle hätte mein Lebensweg durch eine falsche Entscheidung in eine vollkommen andere und möglicherweise sehr unglückliche Richtung gelenkt werden können. Zudem hatten diese kritischen Entscheidungen Folgen, die unablässig wuchsen. Die großen Hoffnungen, die ich mit zwanzig gehabt hatte, hatten sich weitgehend verflüchtigt. In der Zwischenzeit hatte ich viele blaue Flecken abbekommen und so manche Kränkung auszuhalten gehabt. Rückblickend bin ich jedoch der Einzige, den man tadeln oder auch loben kann, weil sich herausstellte, dass meine unzulängliche Dissertation die Anlagen all dessen enthielt, was ich in der Folge vollenden sollte.
    Zu meinem Glück hatte man in meinem Winkel des französischen Systems wenig Vertrauen in die Effizienz verschulten Unterrichts; man glaubte vielmehr fest an seine Fähigkeit, unter sich selbst motivierenden Individuen die besten auszuwählen. Wenn eine Dissertation im Alleingang zu verfassen ist, sind keine speziellen Arrangements erforderlich. Stehen nur schlechte Alternativen zur Verfügung, ist ein zusammenhangloses oder gleichgültiges Umfeld am besten.
    Nehmen Sie meinen Doktorvater de Broglie. Seine Dissertation – die zu einer der beiden Quellen der Quantenmechanik werden sollte – war ebenfalls ohne Hilfe verfasst worden. 50 Jahre später kam die Frage auf, wie es überhaupt dazu kam, dass sie angenommen wurde. Ein noch lebendes Mitglied des Prüfungskomitees bestätigte das Gerücht, wonach der Vorsitzende, der große Physiker Paul Langevin (1872–1946), die Doktorarbeit unverständlich gefunden hatte. Er konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass es schaden würde, sie anzunehmen, weil ein de Broglie sicherlich dem Beispiel seines älteren Bruders, des Duc Maurice de Broglie, folgen und sich nie um eine Stelle bewerben würde. Er schickte die Arbeit jedoch an Einstein, und der Rest ist Geschichte.

Das L.E.P.-Labor von Philips Electronics
    Als ich mich um meine Dissertation zu kümmern begann, wäre das Promotionsstipendium des CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique) außerordentlich spärlich gewesen. So zog ich es vor, ein Parallelleben zu führen. Nachdem ich die französische Luftwaffe schließlich zufriedengestellt hatte, folgte ich dem Beharrungsvermögen, das heißt, ich griff einfach den Gedanken wieder auf, der mich schon 1947 am Caltech zur Luftfahrttechnik gebracht hatte: Ich suchte etwas, das mit der Schnittstelle von Mathematik und Flugtechnik zu tun hatte. Ich bewarb mich bei der

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