Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
hinab?«
»Ja. Ich muss.« Evenna trat vor. Ihrer Laterne entströmte zischend schwarzer Rauch, der sie in einen körnigen Nebel einhüllte. Dieser kreiselnde Tanz des Nebels hatte ein Muster … eins, das sie schon einmal gesehen hatte, dachte Asharre.
»Wartet«, murmelte sie. Die Sigrir kratzte eine Handvoll Schmutz von der Wand und pickte die Knochen- und Metallteile heraus, bis nur raue Erde übrig war. Dann spuckte sie darauf und vermischte sie mit einem Finger zu einer Paste. Die Blasen an ihrer bandagierten Hand brachen auf, die Flüssigkeit darin durchtränkte den Stoff und sickerte in den Schlamm. Asharre ignorierte es. Wie unangenehm die Mixtur auch sein mochte, sie war nur ein Mittel zum Zweck.
Sie tauchte einen Finger in die Paste und streckte die Hand nach Evennas Stirn aus. »Erlaubt mir, Euch mit einem Schutzzauber zu belegen.«
Die Celestianerin runzelte die Stirn, trat aber nicht zurück. »Wo habt Ihr Schutzzauber gelernt?«
»Von einem Freund. Er sollte den Rauch fernhalten; er wird uns davor bewahren, das Gift einzuatmen.« In der Hoffnung, dass sie sich richtig an die Siegel erinnerte, schmierte ihr Asharre den Schlamm in einem wackeligen Kreis auf die Stirn, dann fügte sie acht Linien hinzu, die nach außen abstrahlten und einen Punkt am Ende aufwiesen. Vier über vier: Celestias Sonnenzeichen zum Schutz ihrer Kinder. Sie malte sich das gleiche Zeichen auf die Stirn. Zwar konnte sie die Striche nicht sehen, aber sie war zuversichtlich, dass sie Formen folgte, die Falcien ihr im Traum gezeigt hatte. Als der letzte Strich gezeichnet war, schien das Mal zu schmelzen und sich zu kräuseln, und es versank in der Haut der Erleuchteten. Der Schlamm nahm einen hässlichen Purpurton an, dann wurde er allmählich heller, zeigte kurz ein fleckiges Grün und dann das Gelb einer alten Prellung. Schließlich verschwand er. Evenna zuckte zusammen, aber Asharre spürte nichts. Sie rieb sich mit einem Finger über die Stirn und spürte nur glatte Haut. Die Schmutzpaste war verschwunden.
Und es funktionierte. Der dunkle Rauch wurde von Wirbelwinden davongetrieben, die die ebenholzschwarzen Locken um Evennas Ohren nicht im Mindestens zausten.
»Es gibt keine Magie ohne die Götter«, murmelte Evenna unbehaglich, den kreisenden Nebel beäugend. Aber sie hob ihre Laterne, und sie machten sich an den Abstieg.
Die Stufen bestanden aus Brettern, die in die Seiten der Grube verkeilt waren. Während sie am Rand des Abgrunds hinabstiegen, gab Asharre ihren Caractan stetig von einer Hand in die andere. Die Grube war viel tiefer, als sie gedacht hatte; die Gruft schien sich in das Herz des Berges hineinzubohren. Schon bald verlor sich das hölzerne Netzwerk der eingestürzten oberen Stockwerke in Schatten, und die Welt schrumpfte auf die schwankende Lichtkugel von Evennas Laterne zusammen.
Als sie ein gutes Stück weit die knarrenden Stufen hinabgestiegen waren, wurden die Wände glatter. So weit unten waren sie nicht von Blut verfärbt; kein Metall glitzerte an den Seiten. Hitze stieg aus den Tiefen der Grube empor und damit zusammen der Gestank von Schwefel, der an faule Eier erinnerte.
Die aufgesprengte Erde wich grünschwarzen Steinen, die ohne Mörtel so raffiniert aufeinandergesetzt und deren Fugen so glatt poliert waren, dass die Mauern als ein organisches Ganzes gewachsen zu sein schienen und nicht von menschlicher Hand erbaut. Es fühlte sich alt an, älter als Schattenfall, und auf seine eigene Weise genauso unmenschlich majestätisch wie das turmhohe Glas der Himmelsnadel.
Sie gehörte nicht hierher. Kein Mensch gehörte hierher. Die Rosewayns waren zu ihren Zeiten Eindringlinge gewesen, hatten sich in die namenlosen Tiefen gegraben und ihre zerbrechliche Treppe errichtet, als könnten sie oder sonst jemand glauben, dieser Ort gehöre ihnen.
Sie waren Narren, wenn sie wirklich daran geglaubt hatten. Dieser Ort gehörte einer älteren Macht, einer größeren. In den Augen dieser Macht waren menschliche Leiber Säcke wandelnden Fleisches, zusammengehalten von papierdünner Haut, und während Asharre seiner Höhle näher kam, sah sie sich selbst und Evenna auf die gleiche Weise. Beute. Essen.
Aber wir haben Zähne. Wir können kämpfen. Diese Schlacht wur de schon einmal gewonnen. Sie betete darum, dass sie abermals zu gewinnen war.
Am Ende der Treppe wartete eine schiefe Tür, dahinter ein glühend heißer roter Schimmer. Asharre kannte diesen Schimmer; sie hatte ihn in ihren Träumen gesehen.
Die
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