Schwerter der Liebe
lange Schatten auf das Pflaster warfen. Zwar hatte Nicholas ihr angeboten, sie zu begleiten, doch sie hielt es für besser, nach Möglichkeit alle nicht unbedingt erforderlichen Begegnungen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester bis zur Hochzeit zu vermeiden. Der Diener der O'Neills ließ sie ins Haus und führte sie durch die nur schwach beleuchtete Tordurchfahrt bis zu der Stelle, an der sie sich zu einem weiten Innenhof öffnete. Juliette ließ Valara in der Küche zurück, wo sie mit dem Personal den neuesten Klatsch austauschen und Kaffee mit Butterkuchen genießen konnte, während sie selbst die Treppe hinaufging, die zum Laubengang führte. Ihre Gastgeberin empfing sie oben an der Treppe und begrüßte sie auf die traditionelle Weise mit einem Kuss auf jede Wange, dann führte sie sie am Geländer entlang dorthin, wo an diesem milden Abend mehrere Korbsessel zusammengestellt worden waren. Dort wurde sie von Madame O’Neills Gefährtin - einer dünnen
Amerikanerin namens Agatha Stilton — sowie von Nicholas begrüßt, der sich von seinem Platz erhob.
In seinem Gehrock aus tabakbraunem Wollstoff, der hellbraunen Hose und einer braunen Weste mit cremefarbenen Streifen sah er einfach atemberaubend aus. Seine Augen waren unwiderstehlich und voller Zustimmung, und in ihren schwarzen Untiefen entdeckte sie eine solch verschwörerische Belustigung, dass ihr unwillkürlich ein Schauer über den Rücken lief.
Vielleicht hing es mit dem Gespräch mit Paulette zusammen, auf jeden Fall hatte das Treffen mit Nicholas ohne Valaras Anwesenheit oder die ihrer Mutter etwas von einem heimlichen Rendezvous. Immer wieder musste sie daran denken, was ihre Schwester über die Dinge gesagt hatte, die sich manchmal bei solch intimen Begegnungen abspielen konnten. Natürlich ging sie nicht davon aus, dass man sie und Nicholas hier im Haus der O’Neills unbeobachtet lassen würde, doch wer wusste schon, was ihm vorschwebte?
Sein Verhalten war exakt so, wie sie es sich von einem Liebhaber gewünscht hätte. Er hielt ihre Hand eine Sekunde länger fest, als es nötig gewesen wäre, sodass ihr ein Kribbeln von den Fingern bis hinauf zum Ellbogen lief. Dann nahm er Lisettes kleinen Hund, der auf den Namen Figaro hörte, von dem Korbsessel, wischte mit dem Taschentuch über die Sitzfläche und half Juliette, dort Platz zu nehmen, als sei sie aus Porzellan und er fürchte, sie könnte bei der kleinsten unbedachten Bewegung zerbrechen. Juliette bemerkte den Blick, den Madame O’Neill mit ihrer Gefährtin tauschte, ebenso wie das vielsagende Lächeln. Es war eindeutig als eine Art Kommentar gedacht, doch sie wusste nicht, wie dieser zu deuten war.
»Wie schön, in einem so kleinen Kreis zusammenzusitzen«, meinte Madame O’Neill, deren Blicke aus ihren grauen Augen keinen Hehl aus ihrer Erheiterung machten. »Ich wollte Ihnen gratulieren, dass Sie Monsieur Pasquale am Morgen Ihrer Begegnung so köstlich zum Anhalten zwangen. Seinen kleinen Schützling vor ihm unter Ihren Röcken zu verstecken, während er dastand und vor Wut schäumte! Das hätte ich zu gern gesehen. Keine andere Frau hat es je geschafft, ihn zu verwirren, das kann ich Ihnen garantieren.«
»Tausend Dank, Madame«, protestierte er sarkastisch. »Ich bin mir sicher, meine Verlobte musste diese Information unbedingt in Erfahrung bringen.«
»Meinst du, sie könnte dieses Wissen gegen dich verwenden?«, fragte Lisette O’Neill.
»Das würde ich natürlich niemals machen«, erklärte Juliette rasch, »zumal es sich gar nicht so wie von Ihnen geschildert zugetragen hat.«
»Nicholas«, wandte sich Lisette wieder an ihn. »Kann es sein, dass du uns belogen hast?«
»Nicht im Mindesten.«
Die Lady sah erneut zu Juliette. »Er sah sich nicht gezwungen, sich von Ihnen einen Vortrag über seine Methode der Kindererziehung anzuhören? Und er schlug nicht vor, mit Gabriel den Platz unter Ihren Röcken zu tauschen?«
Juliette schaute nur kurz zu Nicholas. »Nun, was das angeht ...«
»Er hat es gemacht, dessen bin ich mir sicher. Und wenn er nicht auch noch andere Freiheiten angedeutet hat, die er sich herausnehmen könnte, dann muss ich sagen, dass ich diesen Fechtmeister gar nicht richtig kenne. Oder vielleicht hat ja Ihre Güte ihn davon abgehalten.«
Juliettes Gesicht glühte bei der Erinnerung an Gabriels flüchtige Berührung unterhalb ihres Knies und an Nicholas' Bemerkung, seine Berührung würde eine andere sein. Sie sah ihn von der Seite an, doch er bedachte
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