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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Verletzungen zugefügt habe, Mrs. Stonefield? Das ist die entscheidende Frage. Ist es nicht möglich, daß Caleb in einen Kampf verwickelt war, und Ihr Mann ist ihm als loyaler Bruder zu Hilfe gekommen? Bitte, Ma'am, ist das unmöglich?«
    »Nein, nein - nicht unmöglich, nehme ich an«, sagte sie widerwillig. »Aber…«
    »Aber was?« Er war über alle Maßen höflich. »Aber Angus war kein Raufbold?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Kein Mann, der sich leicht in eine Schlägerei hineinziehen ließ? Nicht so, wie Sie ihn kennen, da bin ich mir sicher, aber haben Sie ihn jemals in einem Gasthaus auf der Isle of Dogs erlebt? Manchmal muß ein Mann schon außerordentlich friedfertig oder sogar ein Feigling sein, um dort einem Kampf aus dem Weg zu gehen. Ist Caleb jemand, der Streit sucht? Könnte er diese Schlägereien angezettelt haben oder der Grund für sie gewesen sein?«
    Rathbone erhob sich. »Wirklich, Mylord, wie könnte die Zeugin etwas Derartiges wissen? Wie mein gelehrter Freund hier bereits festgestellt hat, war sie niemals dort!«
    Goode lächelte Rathbone mit übertriebener Höflichkeit und nicht ohne Humor an.
    »Ach herrje, da bin ich in meine eigene Falle getappt. Ich gestehe meinen Irrtum ein.« Er wandte sich wieder an Genevieve. »Ich ziehe die Frage zurück, Ma'am, sie war absurd. Darf ich fragen, ob Sie es nach dem, was Ihr Mann Ihnen erzählt hat, für möglich halten, daß er bei einem Kampf oder einer Reihe von Schlägereien in Calebs Gesellschaft oder vielleicht auf dem Rückweg von einem Besuch bei ihm verletzt wurde, aber nicht direkt von Caleb selbst? Oder ist das unmöglich?«
    »Es ist möglich«, räumte sie ein, aber alles in ihrem Gesicht und in ihrer Körperhaltung leugnete dies.
    »Und das Blut auf diesen Kleidern«, sagte Goode, und sein Gesicht verzog sich vor Abscheu, »von denen ich bereit bin zu glauben, daß es die seinen sind. Vielleicht bin ich optimistisch, ja sogar voller Hoffnung, daß es sich doch nicht um sein Blut handelt, sondern um das irgendeiner anderen armen Seele, und daß er die Kleider einfach weggeworfen hat, weil sie auf diese Weise beschmutzt worden sind?«
    »Aber wo ist er dann?« Sie beugte sich über das Geländer, und in ihrem Gesicht stand eine flehentliche Bitte. »Wo ist Angus?«
    »Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.« Goodes Gesichtsausdruck zeigte ehrliche Anteilnahme, ja sogar die Bitte um Verzeihung. »Aber als man sie fand, hatte er sie nicht am Leib, ob nun verletzt oder unverletzt, Ma'am. Ich gestehe, es sieht nicht gut für ihn aus, aber es gibt keinen Grund zu verzweifeln und ganz gewiß keinen Beweis für eine Tragödie. Lassen Sie uns nicht den Mut und die Hoffnung verlieren.« Er neigte ganz leicht den Kopf und kehrte mit einer schwungvollen Drehung zu seinem Platz zurück.
    Der Richter sah mit amüsiertem, aber auch ein wenig gelangweiltem Blick zu Rathbone hinüber. »Mr. Rathbone, haben Sie noch irgendwelche Fragen an die Zeugin, bevor das Gericht sich über Mittag zurückzieht?«
    »Nein danke, Mylord. Ich glaube, Mrs. Stonefield hat ihre Geschichte so klar erzählt, daß jeder sie verstanden hat.« Er hätte sie an dieser Stelle nur noch dazu zwingen können zu wiederholen, was sie bereits gesagt hatte. Es war eine Frage der Einschätzung, was die Geschworenen in die eine oder andere Richtung beeinflussen konnte. Er hielt Zurückhaltung für die beste Vorgehensweise. Er hatte ihre Gesichter beobachtet, ihre Reaktionen auf Genevieve. Er durfte es nicht übertreiben. Sollten sie sich doch ihre eigene Meinung über sie bilden. Ihre Entschlossenheit, die Interessen ihrer Kinder zu vertreten, konnte mißverstanden werden und das Bild beeinträchtigen.
    Das Gericht erhob sich. Caleb wurde hinausgeführt, die Menge strömte aus dem Saal, um sich mit Erfrischungen zu versorgen, und Rathbone, Goode und der Richter nahmen, jeder für sich, in einer nahe gelegenen Taverne ein exzellentes Mahl ein. Am Nachmittag kehrten sie wieder ins Gericht zurück.
    »Bitte, rufen Sie Ihren nächsten Zeugen auf, Mr. Rathbone«, verfügte der Richter. »Geben Sie uns etwas Handfestes in dieser Sache.«
    Rathbone verbrachte den Rest des Tages damit, Stonefields Dienerschaft aufzurufen, damit diese bestätigte, was Genevieve über die Gelegenheiten, bei denen Angus nicht zu Hause war, erzählt hatte. Angus war häufig fort gewesen, aber nur, wenn er von einem Besuch bei Caleb zurückkehrte, war er verletzt. In zwei Fällen mußten die Wunden behandelt werden.

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