So sinnlich wie dein Kuss
Mit ihrem ungestümen Temperament würde sie kaum zurückhalten können, wenn ihr Vater die Neuigkeiten verkündigte.
Kein Wunder, denn Nicole hatte jahrelang hart an Charles’ Seite gearbeitet, damit die Geschäfte so liefen, wie er sich das vorstellte.
Vor lauter Stolz bekam Charles offenbar gar nicht mit, welcher Sturm sich hier zusammenbraute. So lebhaft wie an diesem Abend hatte er sich lange nicht gezeigt.
Er hob sein Glas in Judds Richtung.
„Trinken wir auf dich, mein Sohn. Willkommen zu Hause. Hier gehörst du her.“
Gespannt wartete Anna, wie Judd diesen Trinkspruch aufnahm, aber sie wurde enttäuscht. Er nickte nur kurz und erhob ebenfalls sein Glas.
„Wiederholst du dich nicht, Dad?“, fragte Nicole. „Das hatten wir doch schon letzten Freitag.“
„Durchaus nicht. Für einen alten Mann wie mich ist es eine Freude, die Familie, und zwar endlich die ganze Familie, um sich zu wissen. Und weil das so ist, muss ich euch allen etwas sagen.“
Auf dem Tisch, neben seinem Teller, lag ein Umschlag. Charles nahm ihn und gab ihn Judd.
„Hier drin findest du alles, mein Sohn. Wie versprochen.“
Obwohl Judd sich sicher gewesen war, Charles’ Sohn zu sein, empfand er bei seinen Worten fast so etwas wie Heiterkeit. Seit Jahren hatten er und seine Mutter auf diesen Moment gewartet.
Nun hatte ihm sein Vater selbst den Schlüssel dazu gegeben, ihm alles heimzuzahlen.
Gleich am nächsten Tag würde er seinen Anwalt beauftragen, ein Angebot für Nate Hunter auszuarbeiten, zu dem dieser nicht Nein sagen konnte. Und dann lag der Hauptanteil von Wilson Wines in den Händen von Charles’ größtem Rivalen…
Judd nahm den Umschlag. „Danke, Sir.“
„Oh, du musst mich doch nicht Sir nennen. Wenn es dir schwerfällt, Dad zu mir zu sagen, dann nenn mich einfach Charles.“
„Danke, Charles.“
Er sah, wie Charles’ hoffnungsvolle Miene sich etwas verdüsterte. Nach allem, was geschehen war – wie sollte er diesen Mann jemals Dad nennen!
Nachdenklich betrachtete er die beiden Frauen am Tisch. Anna saß wie erstarrt da. Offenbar rechnete sie mit dem Schlimmsten. Ein Blick ins Gesicht seiner Schwester sagte ihm, warum. Denn Nicole wirkte auf Höchste irritiert und verwirrt. Ihr war deutlich anzumerken, dass sie wissen wollte, was der Briefumschlag enthielt.
„Was hast du ihm versprochen, Dad?“, fragte sie mit zitternder Stimme.
„Nur was ihm ohnehin zusteht, Nicole.“
„Und das wäre?“
„Die Hausurkunde und der Hauptanteil an Wilson Wines. Den Rest bekommst du, nach meinem Tod … So, stoßen wir noch mal an! Und dann wollen wir uns das wundervolle Dinner schmecken lassen, das Mrs Evans für uns zubereitet hat.“
„Den Hauptanteil an unserer Firma? Ich hab mich wohl verhört! Dad, weißt du überhaupt, was du da tust? Judd hat doch gar keine Ahnung vom Geschäft!“
„Doch. Er kennt sich mit australischem Wein aus. Und jetzt, wo er wieder da ist, wird er lernen, wie die Dinge hier bei uns laufen“, sagte Charles, und es klang, als wäre die Angelegenheit damit für ihn erledigt.
„Das ist ungerecht!“, beschwerte sich Nicole. „Nach allem, was ich für Wilson Wines – und für dich – getan habe, gibst du den Hauptanteil der Firma einem Fremden?“
„Er ist dein Bruder!“ Charles’ Gesichtsfarbe war inzwischen dunkelrot.
„Trotzdem ist er ein Fremder.“
Judd spürte, dass er jetzt etwas sagen sollte, aber er hielt sich zurück. Wenn sein Plan aufging, würde Nicole wahrscheinlich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen. Die Erkenntnis stimmte ihn traurig, denn im Grunde waren sie beide Opfer der selbstherrlichen Entscheidungen ihres Vaters. Vielleicht würde er auf The Masters für sie einen Job finden, wenn sie das wollte.
Nicole lachte bitter auf. Als Anna sie trösten wollte, wies sie sie brüsk zurück. „Du bist auch nicht besser! Du hast es die ganze Zeit gewusst!“
Anna schwieg betroffen.
„Ich kann es nicht glauben! Die zwei Menschen, die ich am meisten liebe, hintergehen mich auf diese Art und Weise!“ Wütend sprang sie auf. „Ich halte es hier nicht mehr aus!“
„Nicole, jetzt beruhige dich und setz dich wieder“, sagte Charles. „So wie es jetzt geregelt ist, hätte es schon längst sein sollen. Das weißt du so gut wie ich. Ich habe dir nie irgendwelche Versprechungen gemacht. Und eines Tages findest du einen netten Mann, der dich heiratet und mit dir eine Familie gründet. Dann ist Wilson Wines sowieso nur noch ein Hobby für
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