Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
hindern.“
„Ich habe einen Eid geleistet!“
Hexendreck, es war schon wieder geschehen. Es platzte aus ihr heraus, obwohl es ihr nur Nachteile brachte. Sie legte die Finger an die Lippen, bevor sie noch mehr sagen konnte, das sie bereuen würde. Abermals schaltete sich diese verfluchte Stimme in ihr ein.
Hör auf damit. Du wartest auf ein Zeichen? Es steht vor dir. Folge ihm hinaus in die Nacht. Dazu wurdest du geboren
.
Aber sie wollte leben. Tief in ihr lachte es. Das Lachen einer Hexe. Überschäumend. Höhnisch.
Ein Leben fernab deiner Neigung und Gaben ist kein Leben
.
Ruben durchquerte den Raum, ohne sie anzusehen. „Da ich keinen Schwur von dir verlangt habe, berufe ich mich nicht darauf. Was mich angeht, so hat es ihn nicht gegeben.“
„Allgewaltige Mutter Erde! Bleib stehen! Warte!“
Mit der Hand an der Tür blieb er stehen. Lange würde er nicht warten. Die Entscheidung fiel, getroffen von einem Grimoire und der Hexenstimme in ihr, die keine Vernunft anerkannte und kein Risiko fürchtete. Es war Wahnwitz. Aurora sprang auf, raffte die Herrengarderobe an sich und huschte hinter einen Paravent.
„Ich komme mit.“
„Das musst du nicht“, drang seine Stimme zu ihr.
„Tizzio wusste, dass du so reagieren würdest, aber ich verlange es nicht von dir. Um ehrlich zu sein, mir wäre es lieber, wenn ich nur auf mich selbst achten muss, ich mir erst ein Bild über die Lage verschaffen kann. Danach …“
„Ach, halt den Mund. Ich komme mit und basta.“
Sie fummelte mit der Kleidung herum, ihre Hände wollten nicht gehorchen. Die Strümpfe verknoteten sich beim Überstreifen, sie hatte Schwierigkeiten mit den Hemdsärmeln, den Hosenbeinen und den Knöpfen. Beim Anziehen der kniehohen Stiefel kippte sie beinahe um. Sie spähte am Paravent vorbei. Ruben lehnte an der Tür, ein einziger Gewissensbiss.
„Spar dir deine Schuldgefühle für den Tag meines Ablebens auf. Dann kannst du dich zu Recht darin suhlen.“
Als er zu ihr sah, zog sie den Kopf zurück. Ihre kurze Tirade gab ihr Auftrieb. Sie war weiterhin zornig auf Tizzio, der ihr das eingebrockt hatte. Gleichwohl war sie weniger fahrig. Ein jähes Hochgefühl überkam sie. Woher es kam, wusste sie nicht. Aufregung loderte auf und erstickte die Angst. Sie sah an sich hinab. Die Hosen schmiegten sich an ihre Beine. Herrje, das waren ja Spargel! In dieser Aufmachung konnte sie nicht auf die Straße gehen. Sie machte einen langen Schritt hinter dem Paravent hervor.
„Lach mich nicht aus, verstanden?“
Er verfing sich in einer Musterung ihrer Beine, während sie einen gefütterten Mantel überzog und ihn hastig zuknöpfte. Sie war im Begriff, eine große Dummheit zu begehen. Obwohl ihr das klar war, vervielfältigte sich ihre Aufregung, wurde zu einem Ziehen in ihrem Brustkorb. Es zog sie in die Nacht hinaus, in das natürliche Element jeder Strega. Ohne es zu wollen, lächelte sie.
„Ich weiß, die Hosen sind lächerlich.“
„Sie sind praktisch“, korrigierte er sie. „Brauchst du eine Waffe?“
„Sofern es dir entgangen sein sollte, ich bin die Waffe.“
Ausgezeichnet! Sie musste sich das nur oft genug vorsagen, vielleicht glaubte sie dann selbst daran. Sie musste vollkommen übergeschnappt sein. In den Nächten war sie noch nie auf Roms Straßen unterwegs gewesen. Sie sollte sich wieder das Nachthemd anziehen, seinem Ratschlag folgen und sich die Bettdecke über den Kopf ziehen. Stattdessen trat sie durch die Tür, die Ruben für sie geöffnet hatte. Seite an Seite gingen sie durch den Palazzo. Im Gleichschritt wie zwei Soldaten. Dies wird kein Abenteuer, ermahnte sie sich. Der Gedanke verblasste bei der Aussicht auf eine Nacht unter freiem Himmel. Schließlich war sie nicht allein. Ein Krieger war an ihrer Seite. Einer der Besten aus den Wolfssippen.
Auf der Straße atmete sie tief die klare Nachtluft ein. Schwärze wölbte sich über den Dächern, gespickt mit Sternen.
„Bist du schnell?“, vergewisserte sie sich.
„Ziemlich.“
„Ich rede nicht von deinen Dolchen. Kannst du schnell rennen?“
Er stutzte, beleidigt über die Andeutung, die er aus ihrer Frage herauszuhören glaubte. „Ich werde nicht davonlaufen und dich zurücklassen.“
Ohne das Missverständnis aufzuklären, nickte sie. Er würde noch früh genug herausfinden, was sie mit ihrer Frage gemeint hatte.
4
„E
in Friedhof?“
Ruben maß die Mauer aus roten Ziegeln ab, die einen der größten Friedhöfe Roms umgab. Es war nicht die erste
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