Sokops Rache
inmitten des Aufruhrs seiner Gedanken.
Weller unterdrückt ein Lachen. »Nun, du scheinst mit der Niobe eine dauerhafte Verbindung eingegangen zu sein. Oder besser: mit der Eignerin.«
Der Satz steht zwischen ihnen in der Luft, schwingt im winzigen, mit dem Verkehrslärm von draußen angefüllten Büro – gültig, wahr und doch so falsch. Henry streicht sich mit der Handfläche über die Haare, hält den Blick gesenkt.
»Ich gehe mal davon aus, dass es sich bei der Dame um jene handelt, der deine Gefühle gelten.«
»Ja, schon.«
»Hör mal, ich will von dir hier keine Geständnisse hören. Deine Libido geht mich erst einmal nicht mehr an als dein Kontostand. Ich hatte nur angenommen, dass unser Verhältnis inzwischen auch Gespräche über intimere Details aushält.«
Ich habe versucht jemanden umzubringen. Dann gemerkt, dass mein Leben in den letzten fünfzehn Jahren auf einem Fundament von Irrtümern stand. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin, wohin mit mir und weshalb noch irgendetwas wichtig für mich sein sollte. Natürlich sagt er nichts dergleichen, nimmt stattdessen die Brille ab, wischt sich mit dem Handrücken über die Augen.
»Willst du wissen, welchen Eindruck du auf meine Angetraute gemacht hast? Wir haben euch nämlich während der Hafentage an Deck der Niobe gesehen. Und in der Galerie neulich habt ihr ja wohl auch ein paar Worte gewechselt.«
Henry sinkt in sich zusammen, erinnert sich an die große Squaw mit dem bissigen Humor und sehnt sich nach einer Zigarette; doch hier ist das Rauchen verboten. »Was denkt sie von mir, deine Frau?«
»Sie sieht dich als einen Brunnen, auf dessen tiefem Grund ein Schatz versteckt ist.« Weller mustert ihn. »Was hältst du davon?
Irgendetwas schnürt ihm die Kehle zu. »Ich … Ich bin nicht sicher, was sie damit meint. Irgendwelche Geheimnisse haben wir doch alle, oder? Dinge, von denen wir anderen nicht gerne erzählen; besonders wenn sie Bewährungshelfer sind.« Er hofft, dass sein Grinsen nicht so verzweifelt wirkt, wie er sich fühlt.
»Interessant, wie du den Begriff Schatz als Geheimnis interpretierst, als etwas eher Negatives, das du vor anderen verbergen möchtest. Wenn ich Ellen richtig verstanden habe, hat sie gefunden, dass da etwas Wertvolles in dir zu schlummern scheint.«
»Sie kennt mich nicht.«
»O je, entweder bist du heute extrem deprimiert oder dir sind gleich mehrere Läuse über die Leber gelaufen, wenn ein solches Kompliment an dir abprallt.« Weller wackelt mit dem Kopf wie ein schlitzohriges Marktweib und Henry lächelt unwillkürlich.
»Und du wüsstest nun natürlich nichts lieber als die Ursache dafür.«
»Henry, Henry. Du weißt, du brauchst mir überhaupt nichts zu erzählen, wenn du nicht möchtest. Du weißt aber auch, wie entlastend es sein kann, über Dinge, die einen bewegen, mit jemandem zu reden. Ich biete mich nur an, mehr nicht.«
Eine Weile sitzen sie stumm da, Henry starrt auf die Wand hinter Weller, auf das Plakat der Familiennothilfe, das er schon gefühlte tausend Male angesehen hat. Weller schiebt den Stapel Informationsfaltblätter, der vor ihm auf dem Tisch liegt, auf Stoß. Wer sie so miteinander an dem runden Tisch sitzen sähe, hätte Schwierigkeiten, zu entscheiden, wer von ihnen der professionelle Helfer, wer der Klient ist. Beide können scheinbar nicht recht aus ihrer Haut.
»Sie ist die große Liebe, die dich so verzweifeln lässt.«
Henry nickt.
»Sie weiß nichts von deiner Vergangenheit.«
Wieder ein Nicken.
»Du meinst, ihr die Wahrheit nicht zumuten zu können.«
Henry kommt sich vor wie einer dieser Wackeldackel auf der Hutablage eines Autos, kann sich ihrem einstimmigen Dialog jedoch nicht entziehen. Wellers Bemerkungen zielen treffsicher ins Schwarze.
»Du hast Angst, sie zu verlieren.«
Henry hört, wie seine eigene Stimme zittert. »Anfangs wollte ich sie einfach benutzen, ihre Sympathie mir gegenüber ausnutzen.«
»Doch dann hast du begonnen, ihr gegenüber mehr zu fühlen.«
»Ja.«
»Und beruht das auf Gegenseitigkeit?«
»Schon.«
»Das ist doch die Hauptsache. Der erste Schritt sozusagen. Nun solltest du natürlich über den zweiten nachdenken, überlegen, ob es klug ist, ihr deine Vergangenheit zu verschweigen; beziehungsweise überlegen, was du ihr zu welchem Zeitpunkt erzählen wirst, damit eure Beziehung eine Zukunft haben kann.«
Amen , denkt Henry. Selten hat sich Weller so altväterlich, fast pastoral angehört. »Ich werde wohl
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