Sommer unter dem Maulbeerbaum
übersät war. »Ich würde sie ja rausnehmen, aber sie stecken sie einfach wieder rein«, seufzte er. »Also, wo war ich stehen geblieben?«
»Eine Wette«, half Bailey ihm auf die Sprünge. »Sie sagten, es hätte alles mit einer Wette angefangen.«
»Ja. Ich erinnere mich noch genau an diesen Tag. Wir standen in der Wells Creek High School, neben den Schließfächern. Kyle, Roddy, Frank und ich. Roddy versuchte, Kyle zu beeindrucken. Was für ein aussichtsloses Unterfangen! Aber damals war Roddy stark von sich eingenommen, daher prahlte er vor Kyle damit, dass er jedes Mädchen auf der Welt haben könnte. Aus irgendeinem Grund ignorierte ihn Kyle nicht einfach wie sonst immer, sondern drehte sich um und starrte Roddy wütend an. Dann lächelte Kyle sein schiefes Lächeln, das ich nie vergessen wer-de. -Die da!, sagte Kyle. >Nimm sie.' Es war Theresa Spangier. Haben Sie ein Bild von ihr gesehen?«
»Ja«, antwortete Bailey, dann sah sie Matt an. »Du auch?«
Matt erwiderte verdutzt: »Ja sicher, sie war doch auf dem Titelblatt der Time.«
»Nein«, entgegnete Bailey, »kein neueres Bild. Hast du gesehen, wie sie in der High School aussah? Damals war sie ...«
»Fürchterlich hässlich«, ergänzte Burgess. In der Erinnerung an jenen Tag schloss er für einen Moment die Augen. »Roddy ging zu ihr hin und bombardierte sie mit seinen aufreizendsten Blicken, seiner schleimigsten, lüsternsten Anmache, aber die Spangier war kein bisschen von ihm beeindruckt. Sie sagte zu Roddy, er solle sich zum Teufel scheren, sie wolle nichts mit ihm zu tun haben. Sie hätten sein Gesicht sehen sollen.« Burgess lachte leise.
»Roddy war der Meinung, alle Mädels in Wells Creek wären verrückt nach ihm, und hier stand diese Schreckschraube und schickte ihn zum Teufel. Inzwischen hatte sich schon ein ganzer Schwarm Mädchen angesammelt, die miteinander tuschelten. Roddys Stolz war verletzt, also sagte er: »Wer würde schon eine hässliche alte Hexe wie dich wollen?«, und er ging davon. Aber die Spangier ...« Burgess musste tief Luft holen, bevor er fortfahren konnte.
»Den ganzen Korridor hinunter verkündete die Spangier laut und deutlich: -Du magst ja schön sein und ich hässlich, aber ich habe Verstand und du nicht. Ich kann mir mein Gesicht operieren lassen, aber du kannst dir keinen Verstand zulegen. Eines Tages werde ich im Weißen Haus sitzen, während du in einer armseligen Hütte hockst und von der Zeit träumst, als du noch schön warst.-«
»Wow!«, rief Matt. »Da hat sie’s ja genau getroffen, was? Cleveres Mädel.«
»Auf jeden Fall eins mit einem guten Gedächtnis«, meinte Bailey. »Aber sie hat die ganze Sache von Winston Churchill geklaut.«
Beide Männer sahen sie fragend an, denn sie hatten keine Ahnung, wovon sie da redete. »Winston Churchill saß beim Essen neben einer Frau, die er nicht leiden konnte, und sie sagte: >Sie sind betrunken, mein Herr-, und Churchill erwiderte: >Und Sie, meine Dame, sind hässlich, aber ich werde morgen Früh wieder nüchtern sein.-«
Die Männer sahen Bailey immer noch mit Unverständnis an und wunderten sich schweigend, was ihre Geschichte mit der ganzen Sache zu tun hatte. »Roddy hätte die Frau des Plagiats überführen können«, sagte Bailey, doch die Männer starrten sie weiter an. »Schon gut, ich hatte vergessen: Ihr seid Jungs. Ihr denkt wahrscheinlich, Roddy hätte ihr eins auf die Nase geben sollen. Ach, was soll’s. Was hat er denn nun gesagt?«
»Nichts«, gab Burgess zur Antwort. »Roddy war schön und nicht clever, deshalb hat er gar nichts gesagt, und die ganze Schule hat über ihn gelacht.
Aber was keiner von uns Calburnern wusste war, dass man sich über Theresa Spangier nicht lustig machte, denn sie war gefährlich. Alle Kinder in Wells Creek hatten schon auf der Grundschule gelernt, sich von ihr fern zu halten. Wenn sie das nicht taten, 'Verschwanden- ihre Lunchpakete. Oder sie hatten auf einmal Kaugummi im Haar. Oder es gab -Unfälle- auf dem Schulhof.«
»Eine hinterhältige Kämpferin«, bemerkte Matt.
»Die allerhinterhältigste«, bestätigte Burgess. »Sie hat nie etwas geradeheraus gemacht. Die Kinder wussten zwar immer, wer ihnen wehgetan hatte, aber die Lehrer nicht. Ihnen tat die Spangier Leid, weil sie so hässlich war. Wenn also ein Kind sagte, die Spangier wäre schuld, war es für gewöhnlich das unschuldige Kind, das die Strafe abbekam.
Auf der High School hatte die patzige kleine Anführerin der Cheerleader einmal eine
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