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Song of the Slums

Song of the Slums

Titel: Song of the Slums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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Tür zum Schulzimmer.
    »Blöde Musik! Blödes altes Klavier!«
    »Nie wieder«, sagte Blanquette.
    So schnell wollte Astor aber nicht aufgeben. »Wir probieren es morgen noch einmal«, kündete sie an, während sie ihnen in den anderen Raum folgte.
    Es war ihr Ernst damit, denn Rechtschreibung oder Mathematik oder jede andere Form von Bildung war ihr eher egal, Musik aber war ihr
wirklich
wichtig.
    In dieser Nacht warf sie sich stundenlang in ihrem Bett von einer Seite auf die andere. Die Episode mit Prester ging ihr immer wieder durch den Kopf, und von Mal zu Mal machte es sie wütender.
Blöde Musik! Blödes altes Klavier!
Seine Worte brannten sich ein, wie eine persönliche Beleidigung.
    Sie konnte einfach nicht zur Ruhe kommen. Sie erinnerte sich an ihre Kindheit, wie sie auf dem Schoß ihres Vaters sitzend Klavier gespielt hatte. Welch eine glückliche Zeit! Was für schöne Erinnerungen! Und nun diese Swale-Bälger, die ihr alles verdarben.
Blöde Musik! Blödes altes Klavier!
    Alles, was in ihrem Leben schiefgelaufen war, kam jetzt in ihr hoch: die Täuschung ihrer Mutter und ihres Stiefvaters, durch die sie sich als Hauslehrerin in Swale House wiedergefunden hatte … der Umzug von ihrem behaglichen Heim in London zum kalten grauen Anwesen ihres Stiefvaters … und natürlich die Katastrophe, mit der alles seinen Anfang genommen hatte – Trauer und Entsetzen, das Unbegreifliche … der Tod ihres Vaters. Wenn sie nur daran dachte, ging ein Schmerz durch ihre Brust, der sie nach Luft schnappen ließ. Es war, als ob eine Tür in ihrem Gehirn geöffnet würde. Sie hatten ihn
umgebracht
.
    Die Erinnerung an diesen Tag durchströmte sie aufs Neue. Ein ganz normaler Samstagnachmittag … draußen mit ihrem Vater durch die Gegend spazieren … sie waren schon auf dem Nachhauseweg in der Fetter Lane. Sie wohnten in Holborn, außerhalb des traditionellen Territoriums der Gangs. Aber die Fehde zwischen den zwei großen Gangsterfamilien, den Mauls und den Starks, konnte überall unversehens zu Gewaltausbrüchen führen. Als die Schießerei begann, leerte sich die Straße sekundenschnell.
    »Renn!«, schrie ihr Vater. »Dean Street!«
    Sie rannte so schnell wie die Beine eines sechsjährigen Kindes es zuließen … und er war bei ihr, zumindest bis zur Abzweigung in die Dean Street, dort trieb er sie wieder an: »Los, weiter! Renn den ganzen Weg nach Hause!«
    Sie hörte noch immer Pistolenschüsse hinter sich. Erst als sie die Great New Street erreichte, merkte sie, dass sie allein war.
    Es war Abend, als sein toter Körper zu ihnen ins Haus gebracht wurde. Von da an gab es nur noch die Erwachsenenwelt … Gespräche hin und her über ihren Kopf hinweg … Fragen und Schuldzuweisungen … Leute im Haus, die sie noch nie gesehen hatte … und einen Satz, den sie ihr Leben lang nicht vergessen würde: »Eine verirrte Kugel hat ihn am Kopf getroffen.«
    Sie wollte es nicht wahrhaben. Sie war sich so sicher gewesen, dass er gleich durch die Haustür treten würde. Selbst als ihre Mutter und die Hauslehrerin die Fassung verloren, verstand sie nicht, was das alles sollte. Sie konnte einfach nicht glauben, dass so etwas unfassbar Großes geschehen war, ohne dass sie es mitbekommen hatte. Er kann nicht gestorben sein, ohne dass ich es gefühlt habe, sagte sie zu sich selbst.
    Aber so war es gewesen … und das Schlimmste von allem war, dass er dem Tod schon nahe war, als sie die Dean Street erreicht hatten, denn er war schon in der Fetter Lane getroffen worden, aber mit ihr weitergerannt, um sie von dort wegzubekommen. Und sie hatte ihn dem Tod überlassen!
    Tränen traten ihr in die Augen, Tränen der Verzweiflung und der Trauer. Sie biss die Zähne zusammen und schlug auf ihr Kissen. Es gab kein Entkommen … Die Nacht verbrachte sie wie im Fiebertraum – immer dieselben Bilder in hundert verschiedenen Kombinationen: der Tod ihres Vater … ihr Vater am Klavier … Prester am Klavier.
    Als der Morgen dämmerte, hatte sie nicht eine Minute geschlafen. Ihre Augen waren gerötet, aber sie hatte ihren Vorsatz nicht geändert.
Blöde Musik! Blödes altes Klavier!
Ihre Schüler mochten ja reich aufwachsen, dazu bestimmt, Geld zu verdienen, aber sie würde ihnen beibringen, dass Geld nicht das einzige ist, was zählt. Sie war mehr denn je davon überzeugt, dass sie ihnen etwas über Musik beibringen musste.

• 15 •
    Astor machte ihre Ansage am Anfang des Tages: »Nach dem Mittagessen werden wir eine weitere Musikstunde

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