Song of the Slums
zu spielen, wie Granny es in ihrer Vision gesehen hatte.
• 30 •
Die Band probte den Rest des Tages ohne Pause weiter … und den ganzen nächsten Tag und den darauffolgenden. Und obgleich Ollifer zur den Trawlers gehörte, schien sich niemand daran zu stören, wenn er morgens in der Frühe über den Schrottplatz ging und abends auf demselben Weg ins Gebiet der Trawlers zurückkehrte.
Granny Rouse sah ihnen oft bei den Proben zu, auch andere Gangmitglieder kamen vorbei und hörten ihnen zu, wenn ihre Bergungs- und Reparaturjobs ihnen die Zeit ließen. Doch noch immer war der Sound der Band nicht der aus Grannys Vision.
»Irgendetwas fehlt«, grummelte sie vor sich hin.
»Eine Strumgitarre«, sagte Purdy. »Wir brauchen einen fünften Musiker.«
Noch immer genoss Astor die Gangmusik nicht um ihrer selbst willen, aber je länger sie dabei war, desto mehr genoss sie es, gut zu spielen. Sie hatte den absoluten Instinkt für die richtigen Beats, ohne auch nur darüber nachdenken zu müssen.
Das Beste von allem war jedoch, wie die Bandmitglieder anfingen, aufeinander einzugehen. Purdy zum Beispiel spielte aus dem Stegreif einen improvisierten Riff, den Ollifer sofort mit seinem Gesang aufnahm; oder Verrol schlug mit dem Schellenkranz absichtlich einen falschen Ton an, den Purdy sofort in eine ganze Folge neuer Töne einbaute. Es war wie eine vielstimmige Unterhaltung.
Als Anfängerin kam Astor nicht im Traum darauf, eigene Ideen einzuarbeiten. Sie war einfach froh, Teil der allgemeinen Kreativität zu sein. Doch dann begannen die anderen, insbesondere Verrol, sie aufzufordern, etwas Eigenes dazuzutun.
Mach was hiermit
, heizte er ihr ein, wenn er mit seiner Klapper in einen Offbeat wechselte – und eben das tat sie, und es gelang ihr stets. Ja, es gab ihr einen Kick, der mehr als nur die Vibration ihrer Drums war. Die Musik umgab sie wie ein Kokon, und sie spürte bis zum Ende des Tages nicht einmal den Schmerz in ihren Handgelenken.
Sie hatte das Potential, besser zu spielen als Verrol. Sie wusste das, und sie wusste, dass auch er es wusste. Sein größtes Talent war das Tanzen. Hin und wieder begann er zur Musik herumzuwirbeln, und dann verdoppelte sie ihre Anstrengungen an den Drums. Die Art, wie der Rhythmus seine Glieder steuerte, hatte etwas Berauschendes. Der Beat ging direkt von ihr – über die Drumsticks und Trommeln – in ihn hinein! Seine Bewegungen waren gleichzeitig straff und fließend, federnd und elastisch.
Purdy war das genaue Gegenteil. Von der Taille abwärts bewegte er sich niemals. Musik zu machen war sein Können, seine Kunst, und er hatte eine professionelle Einstellung dazu. Seine Finger flogen über die Saiten, als habe sich die gesamte Energie seines Körpers in seine Hände begeben.
Während Purdy sich selbst genug war, gierte Ollifer nach Publikum. Wann immer Gangmitglieder vorbeikamen, um zuzusehen, richtete sich Ollifers Gesang direkt an sie. Und wenn niemand anders da war, richtete er seine gesamte Aufmerksamkeit auf Granny. Breitbeinig stand sie dann da und ließ es geschehen.
Ollifer war von der Gang ebenso akzeptiert worden wie von der Band – weil Granny es so wollte. Alle seufzten oder witzelten, wenn Granny sie herumkommandierte, aber keiner widersetzte sich ihr wirklich. »Warum musst du uns immer so herumkommandieren?«, klagten sie, woraufhin Granny erwiderte: »Weil es euch gut tut.« Und irgendwie schienen sie ihr das zu glauben.
Granny war es auch, die sich um Hink kümmerte, den Jungen mit dem Irokesenschnitt, der sich ausgerechnet hatte, der Drummer zu sein. Er war immer guter Dinge und fröhlich – aber er war es auch, der ständig an Astor herumkrittelte. »Das nennst du spielen?« »Das nennst du dein Bestes geben?« »Wie gefällt es dir denn nun, auf
meinen
Drums zu spielen?«
Astor wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte, Granny hingegen schon. »Das sind nie deine Drums gewesen, Hink. Mach dich wieder an die Arbeit. Dein Job ist es, Öfen und Heizgeräte zusammenzubauen.«
»Wie kommt es eigentlich, dass
sie
nicht arbeiten muss?«
»Sie arbeitet für mich.«
»Das ist doch kein Arbeiten, das ist Spielen. Und selbst das kann sie nicht mal richtig.«
»Hörst du mal auf mit dem Rumnörgeln!« Gereizt hob Granny eine Hand, als wolle sie ihn ohrfeigen. »Willst du eins hinter die Löffel?«
Sie war so klein, dass selbst ein Zehnjähriger wie Hink einen Kopf größer war. Trotzdem drehte er sich grinsend weg und rief: »Auweia! Ich hau lieber
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