Sonnenkoenig
Ecke.« Ninus deutet auf die winzige Kammer
neben der Tür zum Flur.
Immer noch irritiert
dreinblickend ging Carla hinein, fand das Gesuchte und begann das schwarze
Pulver zusammenzukehren. Währenddessen war der Kaffee fertig und Ninus füllte
zwei Tassen. »Milch, Zucker? Erinnere mich. Schwarz wie Ihre Seele.«
Der Scherz ging heftig daneben.
Carla erstarrte, ließ den Handbesen fallen. Sie legte den Kopf in den Nacken
und schaute zu Ninus hoch, der mit je einer Tasse in der Hand direkt über ihr
stand. Ihr Blick war traurig, tieftraurig und dabei gehetzt. Ninus konnte nicht
anders – er stellte die Tassen ab, zog Carla hoch und drückte sie an sich. Sie
ließ es willenlos geschehen. Ein Weinkrampf ließ ihren Körper erzittern – wie
dünn, wie zerbrechlich sie war, bemerkte Ninus und er zog sie noch enger an
sich heran. So standen sie eine Weile. Carlas Schluchzen ließ nach, Ninus
bemerkte, wie sich ihre Muskeln wieder spannten. Er ließ sie los. Er fühlte
sich ihr gegenüber so unsicher, was ihn irritierte. Er war fasziniert von ihr,
was ihn verwirrte. Die Gefühlsskala einmal hoch und wieder runter. Fast
gleichzeitig murmelten beide »Entschuldigen Sie« und mussten dabei lächeln. Ein
befreiendes, für ein paar Sekunden vergessen lassendes Lächeln.
»Der Kaffee wird kalt.« Damit
schaffte es Ninus, die Kurve zu kriegen und die Spannung abzubauen. Sie gingen
hinüber zum Sofa, setzten sich nebeneinander, schlürften gleichzeitig. Ninus
verzog das Gesicht und stellte die Tasse ab, ohne Mich schmeckte ihm der Kaffee
nicht. Nikotin war jetzt das bessere Elixier. Er zog seinen Tabak hervor,
drehte sich eine Zigarette und hielt den fertigen Klimmstängel Carla hin, die
kurz zögerte und dann zugriff. Ninus gab ihr Feuer und drehte eine zweite für
sich selbst. Blauer Dunst stieg zweifach gegen Hagens sowieso schon graue
Zimmerdecke und kühlte sich dort ab.
»Ich brauche Ihre Hilfe, Herr
Hagen«, begann Carla übergangslos mit angespannter Stimme.
»Ich heiße Ninus. Wer in meiner
Küche Kaffeepulver aufkehrt, muss mich duzen«, versuchte Ninus erneut ein wenig
Lockerheit in ihr zugegebenermaßen merkwürdiges Verhältnis zu bringen.
»Wie … ja … ach, ja. Gut, ja
gerne. Carla.«
Na, wird doch, dachte Ninus.
»Ich brauche wirklich Ihre, äh,
deine Hilfe. Dringend und sofort. Ich weiß einfach nicht weiter. Außer Ihnen,
dir, kenne ich niemandem, dem ich vertrauen könnte.«
»Du kennst mich doch gar nicht.«
»Das ist wahr. Aber du hast mich
gestern da drüben«, dabei nickte sie zum Fenster hin, »rausgeholt, hast mich
nicht an die Polizei verraten. Bis jetzt nicht, oder?«
Ninus spürte, wie erneut
Misstrauen in ihm aufstieg. Er fasste all seinen Mut zusammen. »Bevor wir
weiterreden, muss ich es wissen: Hast du deinen Bruder die Treppe
hinuntergestoßen?«
Carlas Reaktion verblüffte ihn.
Sie blieb völlig ruhig, legte ihre Hand auf seinen Arm. Wärme durchfloss Ninus.
»Ja und nein. Vor vier Jahren ja, gestern nein. Damals war es mehr ein Unfall.
Paul und ich haben uns gestritten. Ich war wütend. Wir schrien uns an, es
folgte ein Handgemenge, ich stieß Paul und er stürzte die Treppe hinunter. Er
überlebte, war jedoch für immer an den Rollstuhl gefesselt. Eines der vielen
Dinge, die ich falsch gemacht habe, die ich gerne ungeschehen machen würde, mit
deren Schuld und Last ich leben muss.« Wieder füllten sich ihre Augen mit
Tränen.
»Und gestern?«
»Als ich kam, da … da lag er …
genauso wie vor vier Jahren … nur … dieses Mal … tot.«
»Was war denn, als du vor deinem
Stadtbummel bei Paul warst?« Scheiße! Ninus hätte sich ohrfeigen können. Sich
noch blöder anzustellen, war wohl nicht möglich.
»Woher weißt du …?« Carla zog ihre
Hand zurück.
»Das ist eine andere Geschichte.
Erzähle ich dir später. Hat etwas mit dir zu tun, jedoch nicht mit Paul, also
ich meine, nicht direkt, also, vielleicht eher mit deinem Vater.«
Ninus eierte herum, wirkte alles
andere als überzeugend. Carla wollte aufstehen. Er nahm ihre Hand, hielt sie
zurück. »Pass auf. Wir spielen da beide in einem völlig durchgeknallten Film
mit, von dem wir weder das Drehbuch noch den Regisseur kennen. Wir können uns
jetzt trennen und jeder versucht, seine Rolle alleine durchzuziehen, oder wir
erzählen uns jetzt alles und schauen, ob wir es gemeinsam auf die Reihe
kriegen.«
Carla zögerte. Dann drückte sie,
wie zur Bestätigung, Hagens Hand und blickte auf ihre Armbanduhr. »Ja und
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