Sonst kommt dich der Jäger holen
trug ein weißes, eng anliegendes T-Shirt, das seinen v-förmigen Oberkörper betonte, und schwarze Jeans. Ich setzte mich ihm gegenüber. Mein Kopf, den ich Pedaltritt für Pedaltritt voller guter Vorsätze gepumpt hatte, schaltete ab. Überhitzungsschaden. Wir schauten uns an. Wir redeten kein Wort. Felix legte einen Fünfeuroschein unter seine halb volle Apfelschorle. Wir liefen die Kaiserstraße entlang, ohne uns zu berühren, nicht mal an den Händen. Zu heiß. Ich betrachtete sein markantes Profil. Die langen Oberschenkelmuskeln und seinen kraftvollen Gang. Er musste mir nicht erklären, dass er sich hier auskannte; ich folgte ihm in irgendein Jugendstilgebäude, an dessen Eingangsbereich blankpolierte Schilder mehrere Anwaltskanzleien anpriesen. Die Tür war offen. Wir gingen in den Keller. Wie immer hatte ich Angst, dass wir einmal in einer öffentlichen Toilette enden würden wie alle Süchtigen, doch wie jedes Mal war es sauber, und es gab alles, was wir brauchten. In dem ordentlich aufgeräumten Abstellraum wurden ausgemusterte Fotokopierer, Drucker und Computer aufbewahrt. Flipper bezog unaufgefordert seinen Wachposten am Treppenabsatz.
Es war anders diesmal. Zuerst sehr wild, wütend fast. Dann sehr zärtlich, viel zu zärtlich. Er hielt meinen Kopf in seinen Händen und sagte »Franzi«, was außer ihm nur meine Oma zu mir gesagt hatte, und dann küsste er mich, als wollte er mich in sich einsaugen. Verdammt, wir müssen reden, dachte ich. So geht das nicht. Jetzt ist es schon wieder falsch gelaufen.
»Wir zwei, wir sollten uns mal aussprechen«, flüsterte Felix in mein Ohr.
»Und frühstücken«, flüsterte ich zurück, denn ich wusste noch immer nicht, ob er mit Wurst oder Honig in den Tag startete.
»Schießt du eigentlich gut?«, fragte ich, obwohl ich etwas ganz anderes hätte fragen sollen, wollen, doch das harte Ding drückte mich.
»Ja.«
»Hast du schon mal auf einen Menschen geschossen?«
Er zog sich ein klein wenig zurück, und seine Muskeln wurden härter. Ich hatte ihn verärgert. Es tat mir sofort leid. Wie immer zu spät.
»Auf der letzten Wiesn hab ich für die Sinah einen Riesenteddy geschossen. In Rosa.«
Er traf mich. Mitten ins Herz. So was hatte ich mir früher immer gewünscht. Einen Papa, der mir einen Teddy schoss. Felix schob mich ein Stück weg von sich und musterte mich aufmerksam.
»Soll ich dir auch mal einen schießen?«
»Ich brauch keinen Teddy, ich hab meinen Flipper.«
»Dann eben eine Blume.«
Ich wollte gerade sagen, dass die Blumen aus Plastik und bloß Staubfänger waren. Und dann wollte ich Ja gerne sagen. Sehr gerne . Da klingelte sein Handy. Zwei, drei Sekunden zögerte er. Dann ging er ran. Und dann war er weg.
15
»Leopold hier. Felix, wo bist du! Hast du die Besprechung vergessen!«
»Servus, Chefbauer. Ich habe meine Tochter aus dem Kindergarten geholt.«
»Bitte?«
»Das war ein Notfall. Meine Frau, also meine zukünftige Exfrau hatte ein Problem, und die Kindergärtnerin hat gedroht, Sinah auf die Straße zu stellen. Mitten in Schwabing.«
»Das darf sie nicht.«
»Ja, das weiß ich schon. Aber es klang ernst. Offenbar wird sie öfter zu spät abgeholt.«
»Und warum erfahre ich das erst jetzt? Das hat keinen guten Eindruck hinterlassen!«
»Ich hab dir auf die Mailbox gesprochen. Wie ist es denn gelaufen?«
»Wie zu erwarten.«
»In fünfundvierzig Minuten bin ich da.«
»Komm nicht hierher. Ruf den Bert an. Der hat Neuigkeiten. Und dann könntest du noch mal zu der Waffenschmiede Puster rausfahren.« Chefbauer knurrte. »Das ist uns ja freundlicherweise gestattet. Nimm den Johannes mit. Der ist noch bei einer Befragung in der Gegend da draußen.«
»Ich rede. Du sagst nichts«, wies Felix Johannes an, als sie am Spätnachmittag auf das Firmengebäude der Waffenschmiede Puster, einen vierstöckigen lang gezogenen Bau mit Flachdach, zugingen.
»Der Bert hat eine SMS geschickt: Wir sollen die Liste nicht vergessen.«
»Ja. Dann merkst du dir das mit der Liste, und wenn wir uns verabschieden, fragst du danach.«
»Also, das sage ich dann?«, vergewisserte Johannes sich.
»Ja, das ist dein Job.«
»Und sonst halte ich mich im Hintergrund.«
Felix klopfte Johannes grinsend auf die Schulter. »So lob ich mir meine Mitarbeiter.«
»Du, Felix?«
»Hm.«
»Hast du schon mal eine Verfolgungsfahrt gehabt?«
Felix stutzte, dann sagte er: »Schon lange her. Auf der Carrerabahn mit meinem Schulfreund Hartmut. Und du?«
Ȁh, noch
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