Spielzeugsoldaten
Stimme gewesen, die so g efleht hatte und der Schmerz, der Schmerz war so real.
‚Nein! Ruhe! Bitte! Ruhe! ’
Raku fühlte etwas. E twas, das sie nur allzu leicht als Sehnsucht bezeichnet hätte, doch es war unangenehm. E s brannte, zog und zerrte an ihr, wie eine tiefe Wunde . Sehnsucht nach jemandem, den si e seit ewiger Zeit vermisste, ein Stück von ihr, das fehlte. Es war so fern und zugleich so nah, wie das, was sie nicht schlafen ließ. Es war wie die Schuld, die sie verfolgte, wenn sie Juli ansah, nur viel stärker. So intensiv, dass Raku schwerer zu atmen begann. Ich kann das nicht, dachte sie stumm. Das war zu viel für sie. Sie war eine einfache, wenn auch erfolgreiche, Soldatin. Sie hatte eine gute Ausbildung genossen. S ie war intelligent, aber sie war kein Schöngeist, kein Philosoph. Sie hatte sich angewöhnt Gefühle nur dann zu beachten, wenn sie mit ihrem Überleben zu tun hatten. Angst, Hunger, Durst, Müdigkeit. Alles darüber hinaus hatte sie ignoriert oder verdrängt oder einfach nicht gefühlt, weil nichts da war, dass diese Gefühle in ihr hätte auslösen können. Und jetzt saß Juli hier. Sie hatten das erste Mal Ruhe zu reden, sich miteinander zu beschäftigen, sich a nzusehen und all diese Emotionen überrollten sie einfach so , ohne das s sie etwas hätte tun können. W ie so oft in diesen Tagen, vermisste sie die vertraute Kontrolle. S ie war schlicht machtlos.
„Willst du nicht nach Hause?“ Juli spürte, dass Raku sich unwohl fühlte.
„Ich habe kein Z uhause. Mein Bruder un d mein Vater sind verschwunden als ich ein kleines Kind war und meine Mutter habe ich nicht gesehen seit ich zur Armee gegangen bin. Das ist kein gutes Thema, Juli.“
„Entschuldige.“
„Schon gut.“
„Du redest nicht gerne.“ stellte Juli fest.
Raku zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht. Ich mache es nicht sehr oft und du stellst so viele Fragen.“
Juli schmunzelte.
„Entschuldige.“
„Nein, nein. Ich würde nur auch gerne etwas über dich wissen.“
„D a gibt es nichts zu erzählen. Hm, vielleicht beruhigt es dich, wenn ich sage, dass sich schon andere über meine Fragerei beschwert haben.“
„Kann ich mir vorstellen, aber es gibt bestimmt mehr zu sagen über dich als das.“
Raku lächelte verhalten . Das Gespräch fing an ihr vielleicht doch zu gefallen.
- Kapitel 7 -
Es hatte nicht lang gedauert, bis Juli vorschlug weiterzugehen. Sie fühlte sich erholt, obwohl sie nur für wenige Stunden wirklich fest geschlafen hatte. Raku dagegen hatte sie nicht dazu bringen können auch nur einen Moment die Augen zu schließen. Die Welt lag noch im Halbdunkel des frühen Morgens, als sie sich auf den Weg in Richtung Gebirge machten. Beinahe hätte Raku vergessen, in was für einer Gefahr sie eigentlich schwebten. Bisher hatten sie andere Menschen eher gelangweilt. Sie hatte entweder keine Zeit, um sich mit ihnen auseinander zu setzen oder sie und ihr Leben waren in Rakus Augen absolut belanglos. Mit wem hätte sie sich auch schon beschäftigen können? Mit den Soldaten? Denen, von denen sie wusste, dass sie ohnehin fallen würden? Ihren Vorgesetzten? Die sie und ihre Fähigkeit en doch nur ausnutzten? Mit den Menschen in den Dörfern und Städten, die sie erobert oder verteidigt hatten? Nein, da war nichts gewesen. Sie erinnerte sich noch daran, dass sie, als sie noch zur Schule ging, zu den beliebteren Schülern gehört und sie einige Freunde ge habt hatten . Die meisten anderen fanden sie aber seltsam, und Raku fand sie w äre n ihrer nicht ganz würdig. S ie waren ihr einfach in allem nicht genug. Juli dagegen hatte sie schon nach ein paar Minuten, die sie über ihr Dorf Rambur erzählt hatte, völlig in ihren Bann gezogen. Vielleicht waren es einfach Julis Talente zum Erzählen. Sie war sehr wortgewandt und ihre Beschreibungen waren so detailliert, dass Raku förmlich den Sand unter ihren Füßen und die Sonne auf ihrem Rücken spürte. Vielleicht war es aber auch einfach nur Juli und sie hätte auch über einen dreckigen, kleinen Tümpel berichten können, statt über die langen, einsamen Sandstrände von Patrona: Raku hätte es interessiert. Doch schon nach den ersten Kilometern war Raku wieder in ihrem Element. Sie wusste, es würde schwer werden, nach so vielen Jahren im Krieg, zu vergessen wie man Soldat war. Manchmal kam es ihr vor, als hätte sie nie etwas anderes getan. Als sei sie seid ewigen Zeiten Soldat und Major, als sei sie nie Kind gewesen.
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