St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
der Tür?« »Nein!« Die junge Frau ließ die Magd einfach stehen, rannte in ihr Zimmer und schloss hinter sich ab. Sie stürmte auf den Ankleidetisch zu und riss den Schal hoch, unter dem sie das Bändchen versteckt hatte. Oder glaubte, es dort verborgen zu haben. Kate versuchte angestrengt, sich zu erinnern. Dann riss sie die oberste Schublade auf, und die nächste, die dritte. Danach fiel sie über die Truhe, den Schrank und den Schreibtisch her.
Eine halbe Stunde später hatte sie in ihrer Kammer das Unterste zuoberst gekehrt. Völlig entmutigt ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Das konnte doch nicht wahr sein. Prosperos Buch war verschwunden ...
Val öffnete die Fensterläden. Vom Bibliotheksfenster aus konnte er den Sonnenuntergang auf dem Meer betrachten. Flammend versank der Himmelsstern und sandte rotgoldenes Licht aus, das sich wie Blut auf den Wogen ausbreitete.
Was geschah nur mit ihm?
Er hatte keine Ahnung. Nur dass es zum Abend hin schlimmer mit ihm wurde.
Seine Diener hielten längst Abstand zu ihm. Selbst Jem schien davor zurückzuschrecken, ihn noch einmal zu stören. Val konnte ihm daraus keinen Vorwurf machen. Den ganzen Nachmittag hindurch hatte er schon jeden angefahren, der sich der Bibliothek näherte. Nein, er wolle keinen Tee! Nein, auch kein Abendessen... Was wollte er denn wirklich? Kate...
Und warum hast du Idiot sie dann gehen lassen? Valentine hielt sich mit beiden Händen am Fensterbrett fest, um dem Drang zu widerstehen, zu Kate zu laufen, sie zu packen und hierher in sein Bett zu tragen. Warum eigentlich nicht, verdammt noch mal? Kate würde bestimmt nichts dagegen haben. Sie hatte ihm mehr als einmal bewiesen, wie willig sie war und dass sie es kaum abwarten konnte ... Was, zum Henker, dachte er denn da? Er presste die Hände gegen die Schläfen, so als könne er auf diese Weise die dunklen Begierden in ihm zerquetschen. Nach Kate gelüstete es ihn, seinem wilden Mädchen, seiner besten Freundin. Heute Nachmittag hätte er sie beinahe auf dem Sofa vergewaltigt! Erst recht erschreckte ihn, dass diese Gefahr noch nicht gebannt war. Er wollte Kate immer noch haben und scherte sich keinen Deut um die Folgen. Er dachte an die Familientradition, nach der ein männlicher St. Leger genau spürte, wenn für ihn der Zeitpunkt kam, sich mit einer Frau zusammenzutun. Dann schien sich ein Fieber in seinem Blut auszubreiten. Der Arzt sagte sich, dass das nicht schlimmer sein konnte als das, was er jetzt durchmachte. Aber Kate war ja nicht seine auserwählte Braut! Ihm blieb nur eines zu tun übrig. Er musste sich von Kate fern halten. Valentine zog die Fensterläden wieder zu, um seinen Entschluss zu unterstreichen. Nur half ihm das nicht im Mindesten. Er ertappte sich dabei, wie er die Haustür öffnen wollte. Was stimmte nicht mit ihm? Alle Skrupel und alle moralischen Grundsätze zerbröselten in ihm. Dafür drängten alle Arten von Leidenschaften nach oben.
Irgendwie schien das alles mit der letzten Nacht zu tun zu haben. Aber was genau war da eigentlich geschehen. Er lachte humorlos. Seine Finger wanderten über seine Brust und spürten die Umrisse der Halskette mit dem Kristallsplitter. Bislang war Valentine noch nicht dazu gekommen, sich das Stück genauer anzusehen. Der Arzt zog die Kette hervor und betrachtete sie. Nur ein kleines abgebrochenes Stück aus dem Kristall im Knauf des St.-Leger-Schwerts - und dennoch funkelte es mit hypnotischer Kraft.
Valentine konnte sich nicht darauf besinnen, wie er an diese Kette gelangt war. Nur einer konnte ihm eine Antwort darauf geben: Rafe Mortmain.
Aber musste er überhaupt die Hintergründe erfahren? Reichte es nicht, dass das Schwert nun wieder vollständig gemacht werden konnte?
Er strich über den Splitter, und der schien alles zu enthalten, was er sich immer gewünscht hatte ... Nein. Valentine blinzelte und schloss die Hand um den Kristall. Der Splitter übte einen starken Einfluss auf ihn aus. Er sollte ihn seinem rechtmäßigen Besitzer übergeben, seinem Bruder Lance, dem gegenwärtigen Träger des Familienschwerts.
Der Arzt nahm die Kette ab und wunderte sich darüber, wie schwer ihm das fiel. Dann steckte er sie in eine alte, leere Geldbörse, die er in der Schreibtischschublade aufbewahrte.
Kaum hatte er die Lade geschlossen und konnte den Splitter nicht mehr sehen, erhielt er die Quittung dafür. Die Schmerzen in seinem Bein kehrten mit einer Macht zurück, als wollten sie sich an ihm rächen. Valentine musste die Zähne
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