St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
Familienschwert.
Außerdem war Valentine immer rechtschaffen gewesen. Gut möglich, dass das Böse, das dem Kristall innewohnte, einem solchen Menschen gar nichts anhaben konnte...
Mortmain hielt inne. Hatte er wirklich das gedacht? Man könnte glauben, er wolle nicht, dass es Valentine schlecht gehe. Dabei hatte er doch Monate damit verbracht, seine Rache an den St. Legers vorzubereiten. Lance' Bruder war immer schon sein erbittertster Feind gewesen ... Rafe rieb sich die Schläfen und versuchte, den alten Hass auf diese Familie in sich wiederzufinden. Doch all die dunklen Empfindungen, die ihn über Jahre begleitet hatten, schienen mit einem Mal zerstoben zu sein. Er fühlte sich wie eine abgewischte Schiefertafel. Schließlich zuckte er die Schultern. Solche Überlegungen führten zu nichts. Besser, er machte sich Gedanken um die Zukunft.
Mit einer Hand schirmte Rafe die Augen vor dem grellen Sonnenlicht ab und ließ den Blick über den Wald von Masten wandern, bis er die Venturer ausmachte, ein Handelsschiff, auf dem er eine Passage nach Malaysia gebucht hatte.
Im Grunde war ihm das Ziel gleichgültig, solange er nur Seegang unter den Füßen spürte und das Klatschen der Wellen an den Rumpf hörte. Das Wasser hier im Hafen schien ihm schon von fremden Ländern zu flüstern, von Freiheit und Abenteuer - und er verspürte eine Sehnsucht, wie er sie seit seinen Jünglingsjahren nicht mehr erlebt hatte.
Nichts hielt ihn mehr hier, und Cornwall hatte ihm ohnehin nie viel bedeutet. Wie allen Mortmains hatte dieser Landstrich auch ihm nur Unglück gebracht. Wenn er es diesmal verließ, würde er keinen Blick mehr zurückwerfen. Die Venturer würde heute Abend mit der Flut auslaufen, und bis dahin blieb ihm noch viel Zeit. So betrat Rafe einen Gasthof in der Nähe des Hafens und nahm eine leichte Mahlzeit zu sich. Sicher wäre es klüger gewesen, wenn er bis zum Abend in einer dunklen Ecke des Schankraums sitzen geblieben wäre. Aber dann lockte ihn die See so stark, dass er wieder hinaustrat und die reine Meeresluft tief einsog.
Mortmain lief über das Kopfsteinpflaster und genoss es, wie scharf seine Sinne wieder arbeiteten. Er kam an einem Fass vorbei, das den Bewohnern eines Hauses als Regentonne diente. Hier fand er nach dem Barbierbesuch endlich Gelegenheit, sein »nacktes« Antlitz zu betrachten. Wann war er nur so grau geworden? Sein einstmals volles schwarzes Haar zeigte sich nun von Silberfäden durchzogen. Für einen Mann, der die Vierzig überschritten hatte, sicher nichts Ungewöhnliches.
Aber warum wirkten seine Züge nicht ebenso alt? Mit dem Vollbart schien auch das Alter sein Gesicht verlassen zu haben.
»Mama! Mama! Lass mich nicht zurück!«
Der Schrei aus einem Kindermund durchfuhr ihn von Kopf bis Fuß. Halb fürchtete er schon, wieder von seinem Albtraum befallen zu werden.
»Mama, bitte!«
Als das Kind erneut schrie, drehte Rafe sich um. Nicht weit von ihm und vor den Häusern am Wasser versuchte eine Frau in einem Schal und einer Haube, sich von einem kleinen, schmächtigen Jungen zu befreien. Die Nöte der beiden riefen bei den Vorübergehenden wenig Mitgefühl hervor. Rafe wusste auch nicht zu sagen, warum er selbst nicht weiterging. Nach allem, was ihm widerfahren war, ließ ihn das Leid der anderen kalt.
Nur waren diese beiden keine völlig Fremden, wie er beim genaueren Hinsehen feststellte. Er hatte die Frau und den Jungen erst kürzlich kennen gelernt - oder lag das schon eine halbe Ewigkeit zurück?
In einer Scheune auf einem heruntergekommenen alten Bauernhof außerhalb von Falmouth. Plötzlich sah er wieder Corrine Brewer vor sich, wie sie ihm zum Abschied alles Gute wünschte.
Ja, Corrine Brewer, die törichte und viel zu vertrauensselige Witwe, die ihn in ihrem Schuppen hatte übernachten lassen und ihm auch noch ihr einziges Pferd verkauft hatte. Und der Kleine musste ihr Sohn sein ... Charley, ja richtig, das war sein Name.
Was wollten die beiden denn hier in der Stadt? Und warum sollten sie sich trennen? Doch natürlich hatte er damit herzlich wenig zu schaffen.
Rafe wollte schon weitergehen, als ihm eine andere Frau auffiel. Sie stand im Eingang des Hauses, vor dem sich Corrine und Charley aufhielten, und sie trug bessere Kleidung als die Bäuerin. Aber ihre weiße Haube wirkte so streng wie ihre Miene.
Corrine ging vor ihrem Sohn in die Hocke und versuchte vergeblich, ihn zu beruhigen. »Bitte, Mama, geh nicht. Geh doch nicht!« Sie strich dem Jungen durchs Haar
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