St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
Seitengasse.
Als der Knabe um die Ecke lief, bot sich ihm ein schrecklicher Anblick: Eine Kirche stand in hellen Hammen. Höllischer Feuerschein beleuchtete die Straße, und Teufel mit roten Mützen hieben mit ihren Waffen auf alles ein, was sich bewegte. Die Schreie der Getroffenen erfüllten die Luft, und Blut strömte Valentine entgegen. Helft uns, Dr. St. Leger, helft uns!
Verzweifelt sah er sich um. Wie sollte er diesen vielen Menschen helfen?
Dann fiel ihm eine junge Frau mit rabenschwarzem Haar auf, die auf den Kirchenstufen kauerte.
Kate!
Er rannte zu ihr und hob sie auf die Arme. Doch sie hatte die Augen geschlossen, und ihr Körper fühlte sich kalt und leblos an.
Im nächsten Moment stand Effie Fitzleger mit vorwurfsvoller Miene vor ihm.
»Der Familienfluch!«, schimpfte sie. »Ihr hättet ihr niemals zu nahe kommen dürfen. Kate war nicht Eure auserwählte Braut.«
»Nein!«, entgegnete er heftig und wandte sich wieder der jungen Frau zu. Wenn er ihr doch nur ihr Leiden nehmen könnte. Er ergriff ihre Hand und versuchte mit aller Kraft, seine besondere Gabe zu wecken. Doch seine Macht war vergangen, er konnte nichts mehr für sie tun -
»Nein!«, schrie der Arzt und zwang sich, wach zu werden. Mit geöffneten Augen befreite er sich von Kissen und Decke, so als würden die ihn unweigerlich zurück in den Albtraum ziehen.
Nach einer Weile fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Nur ein böser Traum ... aber einer, der nicht von ihm stammte. Rafes Kindheitserlebnisse hatten sich mit seinen Ängsten um Kate vermengt. Kate - hoffentlich ging es ihr gut. Aber das konnte er ja leicht feststellen, lag die doch in seinem Bett. Zitternd streckte er eine Hand nach ihr aus und spürte zu seiner großen Erleichterung, wie sich ihr Oberkörper sanft hob und senkte.
Alles wäre gut ... bis auf den dunklen Fleck auf ihrer Schulter.
Was hatte er ihr angetan?
Val erstarrte, als ihm einfiel, was er der jungen Frau angetan hatte. Er hatte sie hart genommen, auch wenn sie sich ihm ziemlich willig gezeigt hatte.
Nein, so durfte er nicht denken. Kate hatte ihm immer das allergrößte Vertrauen entgegengebracht, und das hatte er schamlos ausgenutzt, um sie zu entehren.
Daran war einzig und allein dieser Kristallsplitter schuld.
Seine Hand schloss sich so fest um den Stein, dass er in seine Handfläche stach. Doch er brachte einfach nicht die Kraft auf, sich die Halskette abzureißen.
»Val?«, ertönte Kates schläfrige Stimme neben ihm. »Was treibst du da?«
Er ließ den Kristall unter sein Hemd verschwinden. Niemals durfte Kate ihn zu sehen bekommen oder davon erfahren. Val wollte aufstehen, um Abstand zwischen sich und sie zu bringen. Aber dann warf er einen Blick auf sie, und sie richtete sich mit verwirrter Miene auf. Das lange Haar hing wild wie bei einer Meerjungfrau über ihre Schultern, und ihr Körper wirkte von den langen Beinen bis zu den runden Brüsten geschmeidig wie Schilfrohr.
Er hatte kein Recht, sie jemals wieder zu berühren, mochte es ihn auch noch so sehr nach ihr verlangen. Doch der Kristall pochte über seinem Herzen und erfüllte ihn mit neuem heißem Verlangen. Val wusste, dass er verloren war. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Kate wieder in seine Arme zu ziehen und sie ein weiteres Mal zu lieben.
Hewlett-Packard
14
Während der folgenden Wochen versank das Rosenstrauch-Cottage im Chaos. Halb gefüllte Reisetruhen und Handkoffer verbreiteten sich wie Pilze nach einem Regenguss, und Effie hielt mit ihren Vorbereitungen für die Reise nach London den ganzen Haushalt auf Trab.
Hutschachteln stapelten sich im Salon, Handschuhe, Fächer und andere unabdingbare Reiseutensilien türmten sich auf den Tischen.
Die Hausherrin lief unentschlossen auf und ab, nahm bald diese Uhr in die Hand und bald jene. »Ach, herrje, ach, herrje!«, jammerte sie in einem fort und wandte sich dann an ihre Adoptivtochter, die still auf der Fensterbank saß.
»Kate, mein Liebes, du musst mir unbedingt einen Rat geben. Welche meiner kostbaren Uhren soll ich denn mitnehmen?«
Aber die junge Frau starrte nur aus dem Fenster und war in ihre eigenen Gedanken versunken. Und die waren alles andere als angenehm. »Gar keine«, antwortete sie nach einem Moment. »Ich glaube, in London ist man ausreichend mit Zeitmessern versorgt.«
»Aber es geht nichts über den Komfort, eine eigene Uhr zu haben. Ich habe einmal von einer Herzogin gehört, die ohne ihre eigenen Bettlaken nirgendwohin reisen konnte. Siehst du,
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