Staustufe (German Edition)
herausbekommen.
«Gut», sagte er und brach vorläufig ab. «Können wir vielleicht noch einen Augenblick in die Küche gehen, ich hätte da noch ein, zwei Fragen an Sie, Frau Rölsch.»
«Mein Gott, kapieren Sie’s doch endlich. Wir wissen nix. Aber bitte. Des ist Ihr Problem, wenn Sie Ihre Zeit verschwenden.»
In der sehr ordentlichen Küche setzte sie sich an den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. «Also, was wollen Sie wissen?»
Winter belehrte sie als Zeugin – trotz der Gefahr, dass er durch diese offizielle Wendung des Gesprächs jede Kooperation verlor. Dann fragte er sie, was sie und ihr Mann vorgestern, also am Freitag, und auch die Freitagnacht über gemacht hätten. Ob sie irgendwo gewesen seien, in einem Lokal oder auf einem Ausflug oder zu Besuch. Winter hatte seine Vorstellung, dass der Mann die Kontaktperson des Mädchens gewesen sein könnte, noch nicht ganz aufgegeben.
«Wir waren hier, wie immer», kam als Antwort. «Bei uns ist jeder Tag gleich.»
«Waren Sie oder Ihr Mann denn am Arbeitsplatz am Freitag?»
«Mein Mann ist arbeitslos. Und Ausgehen können wir uns von Hartz IV nicht leisten.»
«Sie waren doch aber sicher mal vor der Tür? Einkaufen, spazieren mit den Kindern und dem Hund? Oder auf dem Spielplatz?»
Sie gab ein fauchendes Lachgeräusch von sich, das in Husten überging. «Mit drei Kindern geht mer net spazieren. Ich mit dem Wagen, und vorn läuft mir der Große fort und hinten plumpst die Kleine ins Wasser. Sie sind gut.»
«Und der Hund? Der muss doch raus?»
«Mein Mann und ich gehen morgens früh immer so zehn Minuten mit dem Hund. Das sind auch die einzigen zehn Minuten am Tag, wo wir mal für uns haben. Vorher mach ich den Jungen fertig für die Schul. Die erste Zeit hab ich ihn auch gebracht. Jetzt geht er allein.»
«Ist Ihnen vielleicht in der letzten Woche irgendwas Besonderes aufgefallen, wenn Sie raus sind mit dem Hund? Können Sie sich an irgendwas Spezielles erinnern?»
Sie überlegte. «Bloß gestern das schlechte Wetter. Und die Absperrung und die Polizei wegen der Leich. Sonst wüsst ich net. Doch, an dem Hausboot, da kam einer raus. Da ist doch am Steg so e Gittertür dran, dass mer nicht so leicht aufs Boot kann. Aus der Tür kam einer raus, so ein hagerer Kerl. Hatte einen Koffer oder was dabei. Wie der uns gesehen hat, ist er gleich wieder rein in die Tür und zurück ins Boot. Das kam mir verdächtig vor. Aber das war heute, nicht gestern. Das interessiert Sie net.»
«Haben Sie oder Ihr Mann Kontakte in Sachsenhausen? Freunde, Bekannte, Verwandte?»
Er dachte an die am Südbahnhof gestempelten Fahrkarten des toten Mädchens.
Die Frau schüttelte den Kopf und blies Rauch aus der Nase.
«Hat Ihr Mann am Freitag oder Freitagnacht nochmals das Haus verlassen? Außer am Morgen mit Ihnen und dem Hund?»
«Ja, jetzt reichts aber bald. Wie kommen Sie denn dadrauf, dass mein Mann da was mit zu tun hat mit dem Mädchen? Wir kenne die überhaupt nicht. Der Stefan war die ganze Zeit hier, wie immer. Der geht so gut wie gar nicht vor die Tür. Grad, dass ich den morgens die zehn Minuten mal wegkrieg vom Fernseher.»
Das glaubte Winter ihr aufs Wort.
Er verabschiedete sich im doppelten Sinne von der Familie Klinger/Rölsch. Immerhin war noch nicht aller Tage Abend. Der Bekannte des Mainmädchens hier im Haus war eben doch kein Deutscher gewesen.
Unwillkürlich musste Winter an seine Tochter und an deren Selim denken. Jetzt hätte er bei den Türken im ersten Stock gern selbst die Befragung gemacht. Aber da war gerade die Aksoy. Er hörte aus einer der Türen laute türkische Stimmen, und eine davon schien ihre zu sein.
Sie hätte ihn doch dazugeholt, wenn hier jemand verdächtig gewesen wäre? Er zögerte einen Augenblick, dann ging er die Treppe weiter hoch und nahm sich wie verabredet den zweiten Stock vor.
«El-Hallawi», lautete ein kunsthandwerklich gestaltetes Türschild rechts. Dahinter öffnete ihm eine in rosa Gewänder und Kopftuch traditionell arabisch gekleidete, sehr groß gewachsene junge Frau mit milchkaffeefarbener Haut. Sie trug eine Brille, hatte volle Lippen im schmalen Gesicht. Im Flur roch es nach orientalischem Essen. Die Frau bat ihn in gebrochenem Deutsch hinein, führte ihn ins gemütliche, teils mit Sitzkissen an den Wänden eingerichtete Wohnzimmer. Dort saß ein weißgewandeter junger Mann mit Käppchen und schütterem dunklem Bart am Tisch. Als er Winter sah, klappte er das Buch zu und stand auf, um ihn zu
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