Sterbelaeuten
nee.“ Dabei war es nicht so abwegig. Wenn er sich nicht mal wieder irrte, müsste doch heute der Besuchsdienst kommen.
„Ja, ich würd dich ja auch mal besuchen.“
„Ja?“ Es war ja sicher gut gemeint, aber Schmidt glaubte nicht dran.
„Ja, klar. Aber ich hab so wahnsinnig viel zu tun grad. Mit der Arbeit.“
„Mit der Arbeit, ja. Das ist gut.“ Wenn die Kinder in Lohn und Brot waren, war das gut.
„Ja, ist es auch. Ich hab auch ganz gut verdient in letzter Zeit und deshalb ruf ich dich auch an.“
„Ja?“
„Ja, ich wollt dich um ’nen Gefallen bitten.“
„Was?“ Was konnte er denn für Ingo tun? Weit weg, wie der wohnte.
„Ich wollte dich um einen Gefallen bitten.“
„Ja?“
„Ja, aber, du, das muss unter uns bleiben.“
„Was?“ Was war das denn jetzt wieder?
„Ich sag, das muss unter uns bleiben. Das ist ein bisschen heikel.“
Der Junge war in Schwierigkeiten. „Heikel?“
„Ja. Kannst du mir das versprechen?“
„Was willst du denn, Junge?“ Und Heidi sollte nichts davon wissen.
„Ich habe da eine richtig, richtig gute Geldanlage. Bundesschatzbriefe, das Sicherste, was es in diesen Zeiten so gibt.“
„Ja?“
„Das Problem ist nur, dass die Anlagesumme ein bisschen höher ist, als das, was ich gespart hab. Ich hab 45.000 zusammen, aber die wollen 60.000 als Mindesteinlage. Sonst kriegt man die Anlage nicht.“
„Ja.“
„Die Anlage bringt sechs Prozent Zinsen. Das gibt’s heute gar nicht mehr. Und total sicher.“
„Ja?“
„Ja, das kannst du mir glauben. Ich wollte dich fragen, ob du mir die restlichen Fünfzehntausend leihen kannst.“
„Fünfzehntausend!“ Das war eine Stange Geld. So viel hatte er seinen Enkeln noch nie mal eben zugesteckt. Nicht mal seinen Kindern. Dafür musste man lange sparen.
„Du kriegst sie nächste Woche zurück, wenn mein Sparbrief fällig wird. An den komm ich nur jetzt noch nicht dran, sonst verlier ich alle Zinsen. Das wär doch Unsinn, gell?“
„Jaah.“
„Die schenkt man doch nicht gern der Bank, die Zinsen, oder?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Ja, und deswegen brauche ich ja die Fünfzehntausend von dir. Du kriegst sie garantiert nächste Woche zurück.“
„Aha.“ Also geliehen. Na ja.
„Hast du Fünfzehntausend?“
„Ja, ich habe so viel.“ Wäre auch schlimm, wenn er nicht ein paar Ersparnisse hätte.
„Wo hast du die? Auf einem Sparbuch?“
„Ja, ja, auf dem Sparbuch.“
„Kannst du die mir leihen? Bis nächste Woche?“
Oh je. „Ja, ich weiß nicht. Ob ich da überhaupt drankomme.“
„Klar kommst du dran. Hör mal, du musst mit dem Sparbuch zur Bank gehen. Und nimm den Personalausweis mit. Wenn du dich gleich auf dem Weg machst, kommst du noch an, bevor die Bank zumacht.“
„Jetzt?“ Schmidt sah an sich herunter. Er würde sich umziehen müssen. Und der Besuchsdienst wollte gleich kommen.
„Ja, jetzt. Die Frist für die Anleihe läuft heute Abend aus. Ich brauch die Fünfzehntausend unbedingt heute Nachmittag. Sonst ist das ganze Geschäft im Eimer.“
„Aber, Ingo, wie soll das Geld denn so schnell zu dir nach Stuttgart kommen?“
„Mach dir keine Sorgen. Ich hab ’nen Freund, der holt das bei dir ab und bringt es mir. Mit dem Auto.“
„So?“
„Ja, der hat’s mir schon versprochen. Jetzt brauch ich nur noch deine Hilfe. Du musst jetzt gleich los, damit das noch klappt, weißt du?“
„Aber, Ingo, ich kann jetzt nicht. Die von der Gemeinde müssten jeden Moment kommen.“
„Wer von der Gemeinde?“
„Ingo, es klingelt. Ich mache auf. Bleib dran, Ingo, ich komme gleich wieder.“ Schmidt stand einen Moment da und der Hörer in seiner Hand wanderte unschlüssig zwischen Ohr und Wohnzimmertisch hin und her. Schließlich legte er ihn zitternd auf den Tisch. Er ging unsicheren Schrittes zur Haustür und öffnete. „Einen Moment, äh, Herr Reinheim, ich bin noch am Telefon.“ Ließ den Besuch im Flur stehen, was sich eigentlich nicht gehörte, und zurück ins Wohnzimmer zum Telefon. So ein Stress. „Ingo? – Hat aufgelegt.“ Der alte Mann stand sichtlich überfordert mit dem Hörer in der Hand in seinem Wohnzimmer.
„Wer war es denn?“, fragte Thomas.
„Na, der Ingo.“ Schmidt ließ sich aufs Sofa fallen und machte eine Geste, dass Thomas sich auch setzen möge. „Aber komisch war das schon ...“
–
Maté legte auf. Enver sah vom PC zu ihm rüber.
„Was war los? Es lief doch gut?“
„Der Alte hat plötzlich Besuch bekommen.“
Enver
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