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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Nur wenige Minuten, nachdem Großmutter die Teller vor uns abgesetzt hatte, waren sie leergegessen. Vater lehnte sich zurück und steckte sich eine neue Zigarette an, Großmutter goss Kaffee in eine Tasse und reichte sie ihm, ich stand auf und ging ins Wohnzimmer, blickte auf die Stadt mit ihren zahllosen funkelnden Lichtern, den Schnee, der schmutzig grau, fast schwarz an den Wänden der Lagerhallen am Kai lag. Das Licht der Straßenlaternen reckte sich zitternd über die vollkommen schwarze und glatte Wasserfläche.
    Für einen Moment war ich ganz von dem Gefühl weißen Schnees vor schwarzem Wasser erfüllt. Wie das Weiß alle Details um einen kleinen See oder einen Bach im Wald ausradiert, so dass der Unterschied zwischen Landschaft und Wasser absolut wird und das Wasser wie etwas zutiefst Fremdes, ein schwarzes Loch in der Welt liegt.
    Ich wandte mich um. Das zweite Wohnzimmer lag zwei Stufen höher als das, in dem ich stand, und war mit einer Schiebetür abgetrennt. Nun stand diese Schiebetür halb offen, und ich ging hinauf, ohne einen bestimmten Grund, ich war nur rastlos. Das war die gute Stube, in der sie sich nur zu besonderen Anlässen aufhielten, uns war es immer verboten gewesen, dort alleine zu sein.
    An der Wand stand ein Klavier, über dem zwei Gemälde mit alttestamentarischen Motiven hingen. Auf dem Klavier standen die Abiturientenbilder der drei Söhne. Vater, Erling, Gunnar. Es war jedesmal aufs Neue seltsam, Vater ohne Bart zu sehen. Er lächelte, hatte die schwarze Abiturientenmütze frech in den Nacken geschoben. Seine Augen leuchteten vor Freude.
    Mitten im Zimmer standen beidseits eines Tischs zwei Couchen. In der Ecke ganz hinten in der guten Stube, die von zwei schwarzen Ledersofas und einem antiken Eckschrank mit Bauernmalerei dominiert wurde, gab es einen weißen offenen Kamin.
    »Karl Ove?«, sagte Vater in der Küche.
    Ich machte schnell die vier Schritte in das andere Zimmer und antwortete ihm.
    »Gehen wir?«
    »Ja.«
    Als ich in die Küche kam, war er bereits aufgestanden.
    »Macht’s gut«, sagte ich. »Bis bald.«
    »Tschüss«, sagte Großvater. Großmutter begleitete uns wie üblich nach unten.
    »Ach ja«, sagte Vater, als wir unten im Flur standen und uns anzogen. »Ich hab dir was mitgebracht.«
    Er ging hinaus, die Autotür wurde geöffnet und wieder geschlossen, und dann kam er mit einem Paket in der Hand zurück, das er ihr überreichte.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Mutter«, sagte er.
    »Nein, das wäre doch nicht nötig gewesen!«, sagte Großmutter. »Ihr Lieben. Ihr sollt mir doch nichts schenken!«
    »Doch«, entgegnete Vater. »Pack’s aus!«
    Ich wusste nicht, wohin ich gucken sollte. Die Situation hatte eine Intimität, die ich nie zuvor erlebt und von deren Existenz ich nichts geahnt hatte.
    Großmutter hielt eine Tischdecke in der Hand.
    »Nein, ist die schön!«, sagte sie.
    »Ich fand, dass sie zu der Tapete oben passen könnte«, erklärte Vater. »Siehst du?«
    »Wie hübsch«, sagte Großmutter.
    »So«, sagte Vater in einem Ton, der jedes weitere Gespräch unterband. »Dann wollen wir mal.«
    Wir setzten uns in den Wagen, Vater ließ den Motor an, und eine Kaskade aus Licht traf das Garagentor. Als wir die kurze Auffahrt abwärts zurücksetzten, winkte Großmutter uns von der Treppe aus zu. Wie immer schloss sie die Tür hinter sich, während wir wendeten, und als wir auf die Hauptstraße fuhren, war sie fort.
    In den folgenden Tagen dachte ich manchmal an die kurze Episode im Flur zurück und hatte dabei immer dasselbe Gefühl: Ich hatte etwas gesehen, was ich nicht sehen sollte. Aber es verschwand schnell, ich war mit meinen Gedanken nicht wirklich bei Vater und Großmutter, denn in diesen Wochen passierte so viel anderes. In der ersten Stunde des neuen Schuljahrs verteilte Siv eine Einladung an alle, sie würde am kommenden Samstag eine Klassenfete organisieren, was eine gute Nachricht war, da ich das Recht hatte, auf eine Klassenfete zu gehen, da konnte mir niemand vorwerfen, mich aufzudrängen, da konnte die Vertrautheit mit den anderen, die dazu führte, dass ich in den Schulstunden dem Verhalten des Menschen relativ nahe kam, der ich eigentlich war, in die größere Welt überführt werden. Kurzum, ich konnte trinken, tanzen, lachen und vielleicht sogar irgendwo an einer Wand stehend mit jemandem knutschen. Andererseits hatten Klassenfeten gerade deshalb einen niedrigeren Status, es waren keine Feten, zu denen man eingeladen wurde,

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