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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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drückte dagegen, als könnte irgendeine Kraft im Innern gewaltsam nach außen drängen. Martie stemmte sich so krampfhaft dagegen, dass die Muskeln in ihrem Unterarm zu schmerzen begannen.
    Klick-klick.
    »Susan, um Himmels willen, du glaubst, dass er dir Drogen einflößt und dich im Schlaf vergewaltigt, sagst ihm aber nichts davon?«
    »Ich kann nicht. Ich darf nicht. Es ist verboten.«
    »Verboten?«
    »Na ja, es ist halt nicht richtig, etwas, was ich nicht tun darf.«
    »Nein, das verstehe ich nicht. Was für ein seltsames Wort – verboten . Wer verbietet es dir?«
    »Ich meine nicht verboten. Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe. Ich habe nur gemeint … Ach, ich weiß nicht, was ich gemeint habe. Ich bin völlig durcheinander.«
    So sehr Martie auch mit ihrer eigenen Angst beschäftigt war, ließ sie sich doch nicht von dem Thema ablenken, weil sie spürte, dass Susans merkwürdige Wortwahl irgendeine tiefere Bedeutung hatte. »Wer hat es verboten?«
    Anstatt die Frage zu beantworten, sagte Susan: »Ich habe das Schloss dreimal auswechseln lassen.« Ihre anfangs leise Stimme wurde dabei immer lauter, und ein schriller Beiklang kündete von einer aufkeimenden Hysterie, die sie offenbar krampfhaft zu unterdrücken versuchte. »Jedesmal von einer anderen Firma. Eric kann nicht bei jeder Schlosserfirma einen Bekannten haben, oder? Also, ich habe dir das noch nicht erzählt, weil es so verrückt klingt, aber ich habe die Fensterbretter mit Babypuder bestreut, damit ich es an den Handabdrücken oder sonst irgendwelchen Spuren im Puder gesehen hätte, wenn er tatsächlich durch eins der verschlossenen Fenster gekommen wäre. Die Puderschicht ist am Morgen aber immer völlig intakt. Dann habe ich auch noch einen Küchenstuhl unter den Türknauf geklemmt, damit der Mistkerl die Tür nicht aufkriegt, selbst wenn er einen Schlüssel hat. Morgens ist dann der Stuhl noch da, wo ich ihn hingetan habe, aber ich habe trotzdem sein Zeug in mir, in meinem Slip, und ich bin wund, und ich weiß, dass ich brutal missbraucht worden bin, ich weiß es einfach. Ich dusche dann jedes Mal ganz lange mit immer heißerem Wasser, bis es so heiß ist, dass ich mich manchmal fast verbrühe, aber ich werde einfach nicht sauber. Ich fühle mich überhaupt nicht mehr richtig sauber, seit das passiert. Gott, manchmal glaube ich, was ich wirklich brauche, ist ein Exorzist – ja? –, ein Priester, der herkommt und irgendwelche Gebete murmelt, ein Priester, der wirklich an den Teufel glaubt, wenn es so etwas heutzutage überhaupt noch gibt, mit Weihwasser, Kruzifix und Weihrauch, weil wir es hier nicht mit einem logisch erklärbaren Phänomen zu tun haben, es ist absolut übernatürlich, das ist es, übernatürlich . Und jetzt glaubst du, dass ich endgültig durchgedreht bin, Martie, aber das stimmt nicht, das bin ich nicht. Ich bin durcheinander, klar, keine Frage, aber das hier hat mit Agoraphobie nichts zu tun, es passiert wirklich, und ich kann es einfach nicht mehr ertragen, aufzuwachen und festzustellen … Es ist unheimlich, widerlich. Es macht mich fertig, aber ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll. Ich fühle mich so hilflos, Martie, so furchtbar ausgeliefert.«
    Klick-klick.
    Marties rechter Arm, mit dem sie mit aller Kraft, mit ihrem ganzen Gewicht die Schublade zuhielt, tat jetzt vom Handgelenk bis zur Schulter weh. Sie hatte die Zähne so krampfhaft zusammengebissen, dass sie knirschten.
    Ein nadelspitzer Schmerz bohrte sich ihr durch die Halsmuskeln und stanzte ein Quäntchen Vernunft in ihre wirren Gedanken. In Wirklichkeit befürchtete sie keineswegs, dass irgendetwas aus der Schublade entweichen würde. Die Schere war nicht durch Zauberkraft zum Leben erweckt worden wie die Besen, die den Zauberlehrling in Bedrängnis bringen. Das scharfe, trockene Geräusch – klick-klick – existierte nur in ihrer Fantasie. Sie hatte eigentlich keine richtige Angst vor der Schere oder dem Nudelholz, vor den Messern, den Gabeln, dem Korkenzieher, den Maiskolbenspießchen oder dem Bratenthermometer. Seit Stunden kannte sie den wahren Gegenstand ihrer Angst, und sie hatte im Laufe dieses absonderlichen Tages die Wahrheit ein paarmal flüchtig in Gedanken gestreift, sich ihr aber bis zu diesem Moment nicht ohne Wenn und Aber gestellt. Die einzige Bedrohung, vor der sie ängstlich zurückwich, war Martine Eugenia Rhodes: Sie hatte Angst vor sich selbst, nicht vor Messern, Hämmern oder Scheren, sondern vor sich selbst . Sie stemmte sich

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