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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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seinen Drink mit einem Schluck die Kehle hinunter, bevor ich meinen auch nur zu fassen bekam. Er stieß ein erleichtertes Aaaah aus, goss sich nach, reichte mir mein Glas und ließ sich dann, scheinbar entspannt, in den Sessel fallen.
    Auch ich leerte die Hälfte des Gesöffs in einem Zug. Ich hatte noch nie Whisky getrunken. Für mich war es ein legendäres Getränk, das man in weiblicher Begleitung in einer Bar in London oder auch Paris genießen musste. Es schmeckte nach zerquetschter Wanze, brannte in der Speiseröhre. Das Interesse meiner Autoren an diesem Gebräu war schwer zu begreifen. Vor allem unter diesen Umständen.
    Cruz beobachtete mich, wie gewöhnlich kurz davor, das Wort an mich zu richten; er schien immer etwas sagen zu wollen, das dann nie kam, es war wie ein ewiges Stottern. Er begann einen Satz mit meinem Vornamen, sagte, Lakhdar? Ich antwortete, si, Señor Cruz, und dann kam nichts mehr, dann fixierte er mich schweigend.
    Ich flehte zum Himmel, damit ich möglichst bald hier rauskam. Scheiß auf das Geld, scheiß auf alles; ich würde meinen Pass schnappen und abhauen. Nach Marokko, nach Tanger zurückkehren, Algeciras vergessen, die Toten vergessen, Judit vergessen und Barcelona.
    Gleich würde ich Cruz sagen, dass ich nach Hause zurückkehren wollte. Der Augenblick war günstig, es sah aus, als hätte ihn der Alkohol etwas aufgeheitert; wieder zögerte er, Lakhdar?, und stockte.
    Er griff nach der kleinen Karaffe, goss sich einen großen Schluck daraus ein, kippte eine ordentliche Dosis Whisky dazu, bis das Glas zu drei Vierteln voll war. Dann fixierte er die Mischung; er ließ die Eiswürfel kreisen, die noch nicht geschmolzen waren.
    Ich stand auf, ich hielt es nicht mehr aus. Ich sagte, Señor Cruz … Er sah mich mit einem so gepeinigten Blick an, auf seinem breiten Gesicht lag plötzlich ein so großes Leiden, dass ich murmelte, ich muss die Hunde füttern.
    Er wischte sich mit der Hand übers Gesicht, als wollte er Schweiß abwischen, der nicht da war.
    Er sagte, Lakhdar?
    » Si, Señor Cruz?«
    »Komm schnell wieder zurück, ich warte auf dich.«
    Er kippte seinen Cocktail in einem Zug die Kehle hinunter, wirkte erleichtert.
    Wieder war Schweigen eingetreten, als zögerte er, noch etwas hinzuzufügen, dann flüsterte er:
    »Du wirst sehen, du hast Glück.«
    Der Satz war mir ein Rätsel; ich spielte ein wenig mit den Huskys, bevor ich ihnen die Hundeschüssel hinsetzte, und stellte unterdessen die Vermutung an, Cruz habe verstanden, dass ich gehen wollte, und wünsche mir alles Gute für die Zukunft.
    Als ich die Hunde gefüttert hatte und ins Büro zurückkam, war er nicht da; aus der Toilette drangen Geräusche, es hörte sich an, als würde sich jemand übergeben; schwankend kam er zurück.
    »Alles in Ordnung, Señor Cruz?«
    Das Schlucken fiel ihm schwer, er verzog den Mund, sein Gesicht schien so angespannt, dass seine Augen wie Kugeln darin rollten.
    »Es fängt an, Lakhdar.«
    Er ist stockbesoffen, dachte ich.
    Er setzte sich auf das Sofa gegenüber vom Schreibtisch; er schien beim Atmen Schmerzen zu haben; er hielt sich den Bauch, es sah aus, als würde er schrecklich leiden.
    »Es dauert nicht mehr sehr lange … Sieh genau hin …«
    Seine Lippen spannten sich über das Gesicht, er biss die Zähne zusammen; sein Gesicht wurde rot, ein Beben erfasste seine Schultern, er zog die Knie hoch bis zum Unterleib, um seine Schmerzen zu lindern.
    » Señor Cruz, sind Sie krank?«
    Er schien mir antworten zu wollen, aber seine Kehle konnte keine Töne hervorbringen; er streckte mir sein Kinn entgegen, seine Hände schlugen nervös gegeneinander. Über seiner Stirn bildete sich ein Schleier aus Schweiß, ein Blutstropfen rann aus seiner Nase, seine Lippen färbten sich violett, er begann den Kopf nach rechts und links zu werfen, beugte sich nach vorne, als wollte er den Schmerz verjagen, als könnte er nicht fassen, was ihm geschah – aber die Bewegung verwandelte sich in einen entsetzlichen Nackenkrampf, erst zur Seite, dann nach hinten; sein Adamsapfel hüpfte, vibrierte lange in seiner gespannten Kehle wie ein großes Insekt.
    Plötzlich erfasste ihn ein starker Krampf, der ihn zu Boden warf, die Arme vorgestreckt, die Beine gekrümmt, als wollte er robben, er begann zu schreien, ich trat zu ihm:
    » Señor Cruz, hören Sie mich?«
    Er konnte mir nicht mehr antworten, und mich packte das Entsetzen – er konnte nicht schlucken, sein Nacken war steif, seine Brust hochgewölbt, sein

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