Suesse Versuchung
Vetter Henry dunkle Geschäfte für und mit Jonathan Hendricks!
Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte zwar bemerkt, dass sich die gehobene Schicht der
Eastbourner Gesellschaft von Hendricks fernhielt, aber nur deshalb, weil er einen Ruf
als Lebemann hatte, und gewiss nicht, weil stadtbekannt war, dass er zu einer
Verbrecherbande gehörte. Sie hatte ihn bei diesem denkwürdigen Ball ein ums andere
Mal unter den Gästen bemerkt, aber er hatte keine Anstalten gemacht, sie
anzusprechen. Sie hatte jedoch gesehen, dass er mit Henry und sogar mit Lord Edward
geredet hatte.
Sophie hatte schon so einiges von den Tätigkeiten der Schmuggler in dieser Gegend
gehört. Ein sehr berühmter Schmuggler hatte tatsächlich vor einigen Jahren sein Leben
am Galgen ausgehaucht. Darin hatte Henry wenigstens nicht gelogen. Sophie hatte
diese Geschichten mit Interesse verfolgt, fand aber die Vorstellung wenig reizvoll,
ihren Vetter mit einem ähnlichen Schicksal beglückt zu sehen.
Was sollte sie tun? Henry darauf ansprechen? Oder zuerst herausfinden, was da los
war? Und dann erst mit Henry reden? Sie kaute intensiver auf dem Grashalm. Sie
hatten sich für heute Nacht verabredet. Wie wäre es, wenn sie Henry einfach heimlich
folgte? Ein angenehmes Prickeln hatte Sophie erfasst, ein Kitzeln in ihrem Magen und
ihrem Hals, das sich bis in ihre Wirbelsäule fortpflanzte. Endlich geschah hier etwas,
das diese tägliche Langweile unterbrach, in der Tante Elisabeths Einkaufsfahrten nach
Lewes und die Whistabende mit Sir Winston und in Zukunft mit Lord Edward die
einzige Abwechslung waren.
Sophie spuckte entschlossen den Grashalm aus. Heute Nacht also. Sie würde bereit
sein.
Einen schönen guten Tag, Miss Sophie.
Sophie zuckte hoch. Im ersten Moment dachte sie erschrocken, dass Captain
Hendricks zurückgekommen wäre, aber dann erkannte sie Sir Winston. Er eilte auf sie
zu. Ich habe Sie gesucht, Miss Sophie. Man hat mir gesagt, Sie wären alleine in den
Obstgarten gegangen. Er schüttelte mahnend den Kopf. Das ist sehr unklug, meine
Liebe. Es treiben sich hier nicht nur nette Menschen herum.
Das allerdings hatte Sophie auch schon festgestellt. Ärgerlich war nur, dass das
Hausmädchen, dem sie nichts ahnend, was ihr hier begegnen würde, ihr Ziel genannt
hatte, es jedem weiterplauderte. Auf diese Weise würde Henry sehr schnell
dahinterkommen, dass sie gelauscht hatte. Und noch schlimmer Captain Hendricks
konnte es erfahren.
Sophie versuchte ihre Mundwinkel zu einem höflichen Lächeln zu veranlassen, als
sie aufstand. Es fiel ihr schwer, aber es gelang offenbar, denn Sir Winston streckte ihr
freudestrahlend beide Hände hin.
Sophie zog ihre nach einem kurzen Druck wieder zurück. Ich wollte soeben
heimgehen.
Aber deshalb bin ich ja hier. Um Sie heimzubegleiten! Und vielleicht können wir da
auch noch einiges besprechen. Ich hatte schon lange auf eine Gelegenheit gehofft,
dieses Thema
Besprechen?, unterbrach Sophie ihn erstaunt.
Was Ihr Haus betrifft. Marian Manor, liebe Miss McIntosh. Oder darf ich Sophie
sagen?
Ein eisiger Schreck durchfuhr Sophie, als ihr einfiel, dass Sir Winston der
Friedensrichter war. Bisher war er für sie nicht mehr als einer von Tante Sophies
Whistpartnern gewesen, aber nun verwandelte er sich vor Sophies Augen zu einer
gefährlichen Persönlichkeit, die ihren Vetter Henry an den Galgen bringen konnte.
Und hatte Lord Edward nicht gesagt, er wolle mit dem Friedensrichter über diese
heimlichen Besucher reden? Hatte er das getan? War das der Grund, weshalb Sir
Winston mit ihr sprechen wollte? Wenn dort wirklich die Büttel herumschnüffelten,
dann lief auch Henry Gefahr, entdeckt zu werden. Wenn sie nur früher gewusst hätte,
welchen Tätigkeiten ihr unscheinbarer Vetter nachging! Wenn Sir Winston die Sache
wirklich zu untersuchen begann, dann steckte nicht nur Henry in der Klemme, sondern
auch sie. Captain Hendricks Drohung war unmissverständlich gewesen. Die
Schmuggler würden nicht zögern, Henry als Verräter auszuschalten und sie gleich
dazu.
Was ist denn mit meinem Haus? Sophie trat einen Schritt zurück, und Sir Winston
ging ihr nach. Er roch, wie Sophie mit Erstaunen feststellte, nach Brandy. Er begann
sogar ihren Arm zu tätscheln und hatte abermals ihre Hand ergriffen, ehe Sophie sie in
Sicherheit bringen konnte, hielt sie fest und drückte seine wulstigen Lippen darauf.
Sophie unterdrückte einen
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