Sumerki - Daemmerung Roman
klammerte ich mich umso entschlossener daran, damit sie mich wenigstens für kurze Zeit aus meiner Routine erlösten. Auch ohne die wiederkehrenden geheimnisvollen Andeutungen des Autors hätte ich wahrscheinlich begeistert Kapitel für Kapitel übersetzt und wäre mit der gleichen Ungeduld wie ein kleiner Junge ins Büro gelaufen, um mir die Fortsetzung zu holen. Doch der Gedanke daran, welche Geheimnisse diese Aufzeichnungen für mich bereithielten - womöglich erlebte ich in diesem Augenblick das spannendste Abenteuer meines ganzen Lebens -, machte den Verzicht auf diese Arbeit völlig unerträglich.
Der verdammte Spanischübersetzer war verschwunden, und der Angestellte des Büros hatte mich, fast schon hysterisch,
vor die Tür gesetzt. Er war überzeugt gewesen, dass seine Probleme von dem Buch herrührten. Ich dachte lange darüber nach: Wenn er gehofft hatte, mir Angst einzujagen und mich von der Übersetzung des Tagebuchs abzubringen, so hatte er sich jedenfalls geschnitten. Die Ereignisse machten das Buch - sofern sie wirklich etwas damit zu tun hatten - nur noch außergewöhnlicher und interessanter.
Doch war alles nicht so einfach. Ich konnte mich als Möchtegern-Forscher aufspielen, so viel ich wollte - noch nie hatten mich eingebildete Geräusche so fertiggemacht wie in jener Nacht. Es war jemand in meinem Zimmer gewesen, das hatte ich genau gespürt. Ein Teil von mir glaubte daher dem Typen aus dem Übersetzerbüro, und ich schloss nun keine Gefahren mehr aus. Jedoch konnten diese Ängste mich nicht von dem Wunsch abbringen, die Übersetzung fortzusetzen. Das Risiko unterstrich nur die Bedeutung und Ernsthaftigkeit der Situation; der Einsatz in diesem Spiel war auf einmal höher geworden.
Das Problem war nur: Ich hatte die Spur meines Auftraggebers verloren.
Es gibt da einen kleinen Trick, der mir im Leben oft weiterhilft: Wenn ich etwas unbedingt will oder erwarte, sage ich mir vorher, dass ohnehin nichts daraus wird und ich mit nichts anderem zu rechnen habe als einem totalen Reinfall. Einerseits gewöhne ich mich so schon mal an den Gedanken, dass mein Wunsch nicht in Erfüllung gehen wird, ich impfe mich gleichsam gegen die Enttäuschung, wenn sich die Ereignisse tatsächlich zu meinen Ungunsten entwickeln. Auf der anderen Seite ist diese Beschwörung des Misserfolgs aber auch ein Versuch, ihn zu verhindern. Man könnte auch
sagen: Ich beschreie die Dinge umgekehrt. Und auch diesmal beschloss ich, so vorzugehen.
Während ich mir also einredete, ich werde das Buch ohnehin nicht mehr zu sehen bekommen, entdeckte ich sogar einen gewissen Vorteil in meiner Krankheit: Die Schwäche meines Körpers hinderte mich daran, meiner inneren Schwäche nachzugeben und ständig im Büro vorbeizuschauen, in der Hoffnung, eines schönen Tages werde das nächste Kapitel doch noch auftauchen.
Der Abschied von Yucatán fiel mir jedoch keineswegs leicht und ihn sofort zu vollziehen war unmöglich. Ich beschloss, die Dosis allmählich zu senken. Während ich Tee trank und dazu Sauerkirsch-Warenje löffelte, studierte ich meine beiden neuen Bücher. Ich suchte nach einer Antwort auf die bohrende Frage im Zusammenhang mit dem Autodafé.
An einem dieser ruhigen Abende machte ich eine beängstigende Entdeckung: Im Register zu E. Jagoniels Buch waren zu Fray Diego de Landa zwei unterschiedliche Seitenangaben eingetragen. Als ich das Buch zum ersten Mal durchgesehen hatte, war mir nur der Abschnitt aufgefallen, in dem der Bischof von Yucatán selbst erwähnt wurde; die zweite Zahl verwies jedoch auf einen ganz anderen Teil. Als ich die entsprechende Seite aufschlug, traute ich meinen Augen nicht. Es handelte sich um ein festes, fast büttenartiges Kunstdruckpapier, bedeckt von einem hauchdünnen Schleier aus milchigem Transparent. Ähnlich pietätvoll hatten seinerzeit die Herausgeber der mehrbändigen sowjetischen Enzyklopädien aus den 50er Jahren die wichtigsten Illustrationen präsentiert. Vorsichtig schob ich das Schutzpapier
beiseite und erstarrte: Diego de Landa höchstpersönlich blickte mir in die Augen.
Ich stieß den Band von mir, als hätte ich mich verbrannt.
Natürlich war es nicht abwegig, dass ein solches Buch Illustrationen enthielt. Doch hatte ich Jagoniel schon mehrfach durchgeblättert und hätte schwören können, dass es dort keine derartigen Bilder gab. Ganz bestimmt hatte ich sie nicht übersehen, denn es gab zwar auch andere Abbildungen, doch diese waren alle auf gewöhnlichem Papier
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