Tanz um Mitternacht
Achterkabine, die man ihr auf der Merry Dolpbin zugewiesen hatte. Am Abend vor der Abfahrt waren sie an Bord gegangen, um sich häuslich einzurichten. Mit der Flut am nächsten Morgen würde das Schiff auslaufen.
Während der letzten Tage hatte sie sich in die Arbeit gestürzt, die Vorratslisten überprüft und sich vergewissert, ob alle bestellten Sachen eingetroffen waren - Segeltuchzelte und Klappstühle, Kochgeräte, Musketen, Pistolen, die Messer mit den langen Schneiden, die sie brauchen würden, um sich einen Weg durch den Dschungel zu bahnen. Auf einer besonderen Liste waren die Gegenstände angeführt, die sie zum Tauschhandel mit den Eingeborenen benötigen würden - Perlen und Kleidung, scharfe Messer, die sie benutzten, um ihre Jagdbeute zu häuten, Kochtöpfe.
Jeden Tag hatte Cait stundenlang gearbeitet. Darüber war sie froh gewesen. Sie musste sich beschäftigen, um abends vor Erschöpfung in tiefen Schlaf zu versinken. Und sie musste ihr Gehirn mit möglichst vielen Einzelheiten über die Reisevorbereitungen füllen, um ihre Gedanken von Rand abzulenken.
Trotzdem drängte sich sein Bild immer wieder in ihre Phantasie - gebieterisch und ekelig attraktiv. Sie ignorierte seine Briefe. Wenn er ihren Vater einen Dieb und Betrüger nannte, warf er ihr vor, dafür sei sie mitverantwortlich.
Und doch - sie dachte Tag und Nacht an ihn, in jeder Minute, die sie am Schreibtisch verbrachte. Manchmal wünschte sie verzweifelt, sie wäre ihm niemals begegnet. Oder sie sehnte sich nach ihm, nach einer letzten Umarmung. Dafür war es nun zu spät. Außerdem grollte sie ihm wegen seines niederträchtigen Verdachts.
Aber sie konnte nicht vergessen, was er über Talmadge erzählt hatte. Würde sich ihr Vater unwissentlich in die Obhut eines Schurken begeben? Er vertraute dem Baron rückhaltlos, aber Donovan Harmon war noch nie ein guter Menschenkenner gewesen.
Cait verließ sich lieber auf ihre eigenen Instinkte. Und sie hatte den Mann nie gemocht. War Rands Argwohn berechtigt? Wenn ja, was sollte sie tun? Sicher wäre es sinnlos, ihren Vater über Rands Anschuldigungen zu informieren. Die würde er nicht ernst nehmen, vielleicht mit Recht, da es keine Beweise gab.
Statt grundlose Verdächtigungen auszusprechen, die den Vater nur beunruhigen und den Baron auf Rands Nachforschungen hinweisen würden, beschloss sie zu schweigen. Natürlich würde sie Augen und Ohren offen halten. Falls Talmadge böse Absichten hegte, würde sie ihm auf die Schliche kommen. Sie musste vorsichtig zu Werke gehen. Auf keinen Fall durfte er ihr Misstrauen bemerken. Sonst wäre sie ihres Lebens womöglich nicht mehr sicher.
Wieder einmal kehrten ihre Gedanken zu Rand zurück. Wie konnte er es wagen, ihrem Vater nachzuspionieren? Das hatte der Professor, ein Mann von untadeligem Ruf, wahrlich nicht verdient. Nur weil sich Rand am Selbstmord seines jungen Vetters schuldig fühlte...
Plötzlich stockte ihr Atem. Die Qualen eines schlechten Gewissens kannte sie nur zu gut. Der Tod ihrer Mutter würde für ewig auf ihrer Seele lasten.
Verurteilte sie Rand zu Unrecht? Hatte er ihren Vater nur verunglimpft, um sie vor einer drohenden Gefahr zu warnen - um sie zu schützen? Weil sie ihm etwas bedeutete? Nur zu gern würde sie daran glauben und die Erinnerung an die gemeinsamen Tage wie einen kostbaren Schatz in ihrem Herzen bewahren, statt ihre Leidenschaft zu bereuen.
Unter ihren Füßen knarrten die Schiffsplanken und unterbrachen ihre Gedanken. Plätschernd schlugen die Wellen gegen den Rumpf. In wenigen Stunden würde die Merry Dolphin auslaufen. Cait hängte ein Nachthemd aus weißer Baumwolle an den Wandhaken neben der Tür. Dann legte sie mehrere zusammengefaltete Hemden und weiße Seidenstrümpfe in die oberste Schublade der Kommode, die neben der Koje stand.
Es war spät geworden - höchste Zeit, schlafen zu gehen. Doch sie würde sowieso keine Ruhe finden. Stocksteif lag sie in dem schmalen Bett und starrte die Balken über ihrem Kopf an, lauschte dem Ächzen und Stöhnen der Planken und dachte an Rand.
Niemals würde sie ihn vergessen. Und sie würde bis an ihr Lebensende wünschen, der Abschied wäre anders verlaufen. Jetzt erkannte sie, dass er ihren Groll nicht verdiente. Er hatte getan, was er für richtig hielt - ebenso entschlossen, zielstrebig und willensstark wie sie selbst. Was ihren Vater betraf, irrte er sich. Doch das konnte er nicht wissen. Aber vielleicht schätzte er Phillip Rutherford richtig ein.
Endlich fielen
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