Taran Bd 1 - Das Buch der Drei
von Spiral Castle gelegen. Ich konnte mir denken, was mich in diesem Gemäuer erwartete. Doch bevor sie mich ins Verlies stießen, fasste Achren mich am Arm und rief: ›Warum wählst du den Tod, Fürst Gwydion, da du aus meiner Hand doch ein ewiges Leben empfangen könntest – und unermessliche Macht dazu? Ich habe Arawn zum Herrscher über Annuvin gemacht; ich war es, die ihm Gewalt und Reichtum verliehen hat. Er aber, falsch und undankbar, hintergeht mich seit Langem aufs Allerschändlichste. Dafür muss er bestraft werden: Es bedarf eines einzigen Wortes von dir, und sein Platz auf dem Thron von Annuvin ist dein!‹«
»Was habt Ihr Achren geantwortet?«
»Dass ich nichts lieber täte, als Arawn zu stürzen – doch sie mit ihm. Da ließ sie mich in den tiefsten Kerker werfen, und nie bin ich meinem Tod näher gewesen als dort.« Gwydion blickte zu Boden.
»Wie lang ich im Kerker lag, weiß ich nicht«, fuhr er fort. »Eine Woche in jenem Schreckensturm zählt für zwanzig Jahre. Achren ließ mich grausam foltern, an Leib und Seele. Die qualvollste aller Martern war die Verzweiflung. Doch selbst in der tiefsten Verlassenheit gab ich die Hoffnung nie gänzlich auf. Dies nämlich ist das Geheimnis des Turms der Schrecken: Wenn du in aller Anfechtung standhaft bleibst, dann entschleiern sich deinem Blick selbst die Rätsel des Todes.«
»Und Ihr?«, fragte Taran atemlos.
»Am Ende wurde mir Vieles offenbar, was zuvor dunkel gewesen war«, sagte Gwydion. »Doch genug davon! Es mag hinreichen, wenn ich dir sage, dass ich das Wesen von Leben und Tod erkannte, von Lachen und Weinen, von Ende und Anfang. Ich habe die Wahrheit der Welt geschaut – und keine Kette vermochte mich länger zu halten. Die eisernen Bande lösten sich auf wie Träume, die Mauern meines Gefängnisses schmolzen wie Schnee an der Sonne dahin.«
»Und was ist aus Achren geworden?«, erkundigte sich das Mädchen. »Ich weiß es nicht«, sagte Gwydion. »Ich habe sie seither nicht mehr gesehen. Einige Tage verbrachte ich in den Wäldern, bis meine Wunden geheilt waren. Als ich zurückkehrte, um dich zu suchen, Taran, lag Spiral Castle in Trümmern. Da beklagte ich deinen Tod.«
»So wie wir Euch beklagt haben«, sagte der Junge.
»Dann brach ich von Neuem nach Caer Dathyl auf«, berichtete Gwydion weiter. »Ich muss eine Zeit lang dem gleichen Pfad gefolgt sein wie ihr, bloß ohne den Umweg durch Medwyns Tal und das Reich der Unterirdischen. So kam es, dass ich euch auf dem letzten Stück überholt hatte, ohne dass wir es wussten.«
Gwydion hielt einen Augenblick inne und strich mit der Hand über Tarans Decke, bevor er in seiner Erzählung fortfuhr: »Heut früh stieß ein Gwythaint vom Himmel herab, auf mich zu. Er griff mich nicht an, sondern flatterte vor mir her und stieß seltsame Schreie aus. Die Sprache der Gwythaint ist kein Geheimnis für mich. Seit ich dem Turm der Schrecken entronnen bin, sind mir die Sprachen aller lebenden Wesen vertraut. So erfuhr ich von ihm, dass sich eine Gruppe von Wanderern in der Nähe befand, bei denen ein weißes Schwein war. Da machte ich unverzüglich kehrt und eilte in meiner eigenen Spur zurück. Um diese Zeit muss Hen Wen gespürt haben, dass ich in ihrer Nähe war. Als sie ausriss, rannte sie nicht aus Furcht weg, sondern um mich zu finden. Was sie mir sagen wollte, war wichtiger, als ich vermutet hatte. Nun erst verstand ich, warum der Gehörnte König ihr nachjagte: Offenbar wusste er, dass sie das einzige Mittel zu seiner Vernichtung kannte.«
»Was für ein Mittel?«, fragte der Junge.
»Hen Wen kannte den Geheimnamen des Gehörnten Königs.«
»Kann ein Name so mächtig sein?«, staunte Taran.
Gwydion nickte. »Wenn du das Böse beim richtigen Namen nennst, ist es dir ausgeliefert. Dann bist du imstande, es ein für alle Mal zu vernichten. Ohne Hen Wen freilich hätte ich den Geheimnamen nie erfahren.«
Er beugte sich zu Hen Wen hinab, um ihr die Ohren zu kraulen. »Hen hat mir das Geheimnis im Wald verraten, ganz ohne Runenstäbe und Zauberspruch. Vom ersten Augenblick an verstanden wir uns wie alte Freunde. Über uns kreiste der Gwythaint. Er war es, der mir den Weg zum Gehörnten König wies.«
»Und wo ist der Gwythaint jetzt?«, fragte Taran.
Gwydion zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Aber ich bin überzeugt, dass er nicht nach Annuvin zurückkehren wird. Sollte Arawn erfahren, was er für uns getan hat, so ließe er ihn in Stücke reißen. Jedenfalls hat der Gwythaint
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