Terror: Thriller (German Edition)
Urlaubsstimmung hingegeben. Dass sich beim Marokkaner absolut nichts tat, dass weder die Kamera noch die Wanzen irgendetwas Verdächtiges einfingen, begünstigte das sanfte Hinübergleiten in den Zustand wohliger Entspannung. Mit dem stärker werdenden Sonnenlicht verblassten die unheimlichen Geschehnisse nach und nach. Und Marc ließ das zu.
Bis vor zwei Wochen noch hatte er fast täglich mit Klaus telefoniert. Sie hatten sich die Köpfe heißgeredet, hatten Theorien zum Oktoberfest-Attentat aufgestellt und wieder verworfen. Klaus war im Internet auf die Vermutung gestoßen, die mysteriöse Geheimarmee GLADIO habe etwas mit dem Oktoberfest-Anschlag zu tun. Marc hatte ihn ausgelacht und ihn eindringlich darum gebeten, seinen Verstand doch bitte eingeschaltet zu lassen, mit absurden Verschwörungstheorien kämen sie hier nicht weiter. Doch als Klaus ihm die Links zum Thema GLADIO schickte, war Marc ins Grübeln gekommen: Die Geheimarmeen hatte es tatsächlich gegeben. Sie waren nach dem zweiten Weltkrieg von der CIA und dem britischen militärischen Geheimdienst MI 6 eingerichtet worden und existierten unter verschiedenen Decknamen – die italienische Geheimarmee hatte den Decknamen GLADIO , die deutsche nannte sich »Stay-behind-Organisation« – in allen Ländern Europas westlich des eisernen Vorhangs. Sie wurden durch die Abteilung für verdeckte Kriegsführung der NATO koordiniert und sollten für den Fall einer sowjetischen Invasion als Guerilla-Armee zur Verfügung stehen, die hinter den feindlichen Linien operieren konnte. Den Parlamenten und der Bevölkerung wurde die Existenz der Geheimarmeen vorenthalten. Erst 1990, nach dem Ende des kalten Krieges, war die Sache ans Licht gekommen. In Italien, Belgien und der Schweiz waren die Geheimarmeen parlamentarisch untersucht worden. In Deutschland allerdings hatte eine solche Untersuchung bis heute nicht stattgefunden.
Marc war fassungslos, dass er davon noch nie etwas gehört hatte. Klaus, der nun wirklich politisch interessiert war, brummelte zwar irgendwas von »schon mal von gelesen … irgendwie«, musste aber letztlich ebenfalls einräumen, dass ihm die Sache in diesem Ausmaß neu war.
Sie recherchierten nächtelang im Internet, Klaus in Berlin, Marc in Lenzari, hatten das Telefon neben sich auf dem Tisch liegen, schrieben E-Mails und riefen einander an, sobald sie eine neue Entdeckung gemacht hatten. Die Telefonrechnung für den März würde horrend werden, aber egal. Alle Medien hatten 1990 von der unheimlichen Enthüllung berichtet. »Das blutige Schwert der CIA «, titelte der Spiegel am 19. November 1990. Der SPD -Abgeordnete Hermann Scheer hatte von einer Art Ku-Klux-Klan gesprochen und eine juristische Aufarbeitung durch den Generalbundesanwalt gefordert, »weil die Existenz einer bewaffneten militärischen Geheimorganisation außerhalb jeglicher Kontrolle durch Regierung oder Parlament mit der Verfassung nicht vereinbar ist und deshalb nach dem Strafrecht verfolgt werden muss«. Aber es geschah nichts.
»1990«, sagte Klaus, »da war Deutschland mitten im Wiedervereinigungstaumel. So erstaunlich ist es nicht, dass sich da keiner mit Geheimarmeen aus dem kalten Krieg befassen wollte.«
Aber die Parlamente Italiens, Belgiens und der Schweiz beschäftigten sich damit. Und nach und nach kamen immer mehr Details ans Tageslicht, die allesamt unglaublich klangen, aber inzwischen als gesichert galten: Die Offiziere des geheimen Netzwerks wurden unter der Leitung amerikanischer und britischer Spezialeinheiten, den Green Berets und dem Special Air Service, kurz SAS , ausgebildet. Das Personal wurde vor allem unter Rechtsextremen rekrutiert. In Deutschland waren ehemalige Mitglieder der SS darunter. Die Logik dahinter war klar: Man wollte verlässliche Männer mit einer klar antikommunistischen Grundhaltung. Es stellte sich aber heraus: Die Geheimarmeen warteten nicht einfach nur auf die Invasion Westeuropas durch sowjetische Truppen und drehten Däumchen, sondern kamen tatsächlich zum Einsatz. Und zwar, um kommunistische und sozialistische Kräfte im eigenen Land zu bekämpfen. Nach Ansicht der geheimen Kriegsstrategen in Washington und London waren die damals starken kommunistischen Parteien und Bewegungen in den Demokratien Westeuropas die reale und akute Gefahr, gegen die man mit allen Mitteln vorgehen musste.
Mehrere Tage war Marc wie elektrisiert gewesen, wobei er nicht genau sagen konnte, was ihn stärker erschütterte – die ungeheuerlichen
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