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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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gefolgt, die ihn zwangsläufig wieder dorthin führte, wo alles angefangen hatte.
    Er bremste und bog ab. Der Gremlin holperte die einspurige Schotterstraße entlang; zu beiden Seiten der Straße wuchsen dicht an dicht Bäume. Zwanzig Meter vom Highway entfernt war die Straße mit einer Kette abgesperrt worden, an der ein zerbeultes Schild hing: BETRETEN VERBOTEN. Er fuhr um die Absperrung herum und folgte weiter der Spurrille.
    Bald kam zwischen den Bäumen die Gießerei in Sicht. Sie stand auf einem Hügelkamm, und eigentlich hätte sie in der Sonne leuchten müssen, aber stattdessen schien sie im Schatten zu liegen. Vielleicht war ja eine Wolke vor die Sonne gezogen. Als Ig die Augen zusammenkniff und durch die
Windschutzscheibe spähte, sah er jedoch einen unfassbar klaren Spätnachmittagshimmel.
    Er fuhr weiter, bis er den Rand der Wiese erreichte, auf der sich die Ruine der Gießerei erhob, hielt an und stieg aus. Den Motor ließ er laufen.
    In Igs Kindheit war die Gießerei die Ruine einer Burg gewesen, direkt den Märchen der Brüder Grimm entsprungen - ein Ort im tiefen dunklen Wald, in den ein böser Prinz unschuldige Frauen locken mochte, um sie abzuschlachten. Und genau das war hier auch geschehen. Als Ig älter geworden war, hatte er zu seiner Überraschung festgestellt, dass die Gießerei gar nicht so tief im Wald lag, sondern nur etwa dreißig, vierzig Meter von der Straße entfernt. Jetzt schlug er die Richtung zu der Stelle ein, wo Merrins Leiche gefunden worden war und wo ihre Familie und ihre Freunde ein Mahnmal für sie pflegten. Er kannte den Weg, denn seit ihrem Tod war er oft dort gewesen. Schlangen folgten ihm, aber er tat so, als würde er es nicht bemerken.
    Unter dem Traubenkirschbaum war alles noch genau so, wie er es letzte Nacht zurückgelassen hatte. Er hatte ihre Bilder von den Zweigen gerissen. Sie lagen zwischen dem Unkraut und den Sträuchern. Die blasse, schuppige Rinde löste sich an manchen Stellen vom Stamm, und darunter kam das verrottete rötliche Holz zum Vorschein. Ig hatte ins Unkraut gepinkelt, auf seine Füße und der Plastikfigur der Jungfrau Maria, die in einer Mulde zwischen den beiden dicksten Wurzeln stand, ins Gesicht. Für die Marienfigur mit ihrem idiotischen Grinsen hatte er nur Verachtung übrig, weil sie für eine Geschichte stand, die bedeutungslos war und einem Gott diente, der zu nichts mehr taugte. Ig hegte keine Zweifel daran, dass Merrin Gott um Hilfe angerufen hatte, während sie vergewaltigt und ermordet
wurde. Wenn nicht mit ihrer Stimme, dann mit dem Herzen. Und Gott hatte ihr geantwortet, dass im Moment alle Leitungen belegt seien und dass sie warten müsse, bis sie tot sei.
    Ig schaute kurz zu der Jungfrau Maria hinüber und wollte schon wieder den Blick abwenden, als ihm die Spucke wegblieb: Die Heilige Mutter sah aus, als wäre sie ins Feuer gehalten worden. Die rechte Hälfte ihres lächelnden, sanftmütigen Gesichts war schwarz verschorft, wie ein Marshmallow, der zu lange über einem Lagerfeuer gehangen hatte. Die andere Hälfte ihres Gesichts war wie Wachs zerlaufen. Entstellt, wie sie war, schien sie Missbilligung auszudrücken. Bei diesem Anblick wurde Ig einen Moment lang schwindelig, und als er versuchte, sein Gleichgewicht wiederzufinden, setzte er den Fuß auf etwas Glattes, Rundes, das unter seinem Absatz wegrollte, und …
    … es war Nacht, und die Sterne kreisten über ihm, und er blickte zu den Ästen und sanft herabfallenden Blättern hinauf und sagte: »Ich sehe dich dort oben.« Mit wem redete er da - mit Gott? Er wiegte sich auf den Absätzen vor und zurück, bevor er …
    … ratzfatz mit dem Arsch im Dreck landete. Er sah, dass er auf eine Weinflasche getreten war, ebendie Flasche, die er gestern Abend hierher mitgenommen hatte. Er beugte sich vor, hob sie auf und schüttelte sie. Ein Rest Wein schwappte darin hin und her.
    Er stand auf und legte den Kopf in den Nacken, um beklommen in die Äste des Kirschbaums hochzuschauen. Blätter rauschten sanft im Wind. Er fuhr sich mit der Zunge über den klebrigen Gaumen, drehte sich dann um und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Wagen.
    Unterwegs musste er aufpassen, nicht auf die Schlangen
zu treten, aber er schenkte ihnen noch immer keine Beachtung. Er entkorkte die Flasche und nahm einen Schluck. Nachdem der Wein den ganzen Tag in der Sonne gelegen hatte, war er warm, aber Ig kümmerte das nicht. Er schmeckte wie Merrin, wenn er sie leckte - nach ätherischen Ölen und

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