The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Kilometer, stelle die Kabutze am Straßenrand ab und warte. Lkw und Transporter fahren vorbei, dazwischen ein paar Kleinwagen. Ich bleibe eine Weile sitzen, und als kein möglicher Tanzpartner kommt, tanze ich mit mir selbst. Ich hüpfe herum, drehe mich, schwinge Arme und Beine, zeige mit den Fingern auf die Fahrzeuge, die an mir vorbeifahren und hupen.
Und ich bin froh, als ich fertig bin.
Es war kein Freudentanz.
Ich habe lediglich eine meiner Regeln befolgt: alle tausend Kilometer ein Tanz.
Dann ziehe ich meine Kabutze weiter durch das Uighurenland.
Ich komme durch Wüsten und grün überwucherte Oasen. Mittags schlafe ich im Schatten dürrer Bäume, abends stelle ich das Zelt in der Einsamkeit auf. Ich kann viele Kilometer weit sehen. Wenn es dunkel ist, wird es so still, dass ich meine eigenen Essgeräusche laut höre. Ich sehe Sterne am Himmel, und im Licht meiner Stirnlampe segelt eine dicke Mücke wie eine Galeone durch mein Zelt.
Auf dieser Seite von Hami ist alles anders, ich fühle mich, als wäre ich in einem fremden Land. In den Dörfern treffe ich auf Chinesen, die mich für einen Uighuren halten, und auf Uighuren, mit denen ich nicht reden kann, weil sie kein Chinesisch verstehen und ich kein Uigurisch.
Einer von ihnen kommt im falschen Moment. Es ist Nachmittag, ich ziehe die Kabutze einen langen Hang hinauf, und ich bin wütend, denn sie ist schon wieder kaputt. Ihre Räder eiern und quietschen, sie will sich kaum noch bewegen, diesmal sind es die Kugellager. Mein Zorn brennt. Ich brülle, bis ich Kopfschmerzen habe und die Gobi um mich herum flimmert.
Ein Transportmotorrad kommt neben mir zum Stehen. Der Fahrer hat eine Sporthose an und eine dünne Armeejacke, seine Haare sind kurz geschoren, er sieht aus wie ein Fußballhooligan. Er ruft mir grinsend etwas auf Uigurisch zu.
Ich gehe weiter.
Sein Motorrad stinkt und knattert neben mir her, er schreit. Ich wende ihm das Gesicht zu und versuche ihn mit einem besonders widerwilligen Gesichtsausdruck zu vertreiben, doch er redet unbekümmert weiter, schleudert mir Wort um Wort in seiner Sprache entgegen und grinst.
Ich ärgere mich. Über die Kabutze, über ihn, über alles.
Er fährt an mir vorbei bis zu einer Stelle ein paar Dutzend Schritte weiter, stellt sein Gefährt ab und kommt mir zu Fuß entgegen. Er hat einen Notizblock und einen Stift in der Hand und winkt mir damit zu.
Einen Moment lang bin ich versucht, seinem Wunsch nachzukommen und eine Widmung in seinen Block zu schreiben. »Hör auf zu nerven, du alte Fleife« vielleicht.
Stattdessen bleibe ich stehen, richte mich auf, blicke ihn vernichtend an und stoße Laute aus. Es soll ein Knurren sein oder ein Grollen.
Und tatsächlich: Er verstummt, weicht mit einem erstaunten Gesichtsausdruck einen Schritt zurück und lässt den Arm mit dem Notizblock sinken. »Triumph!«
Ich gehe weiter, die Kabutze eiert, ich fühle Adrenalin durch meinen Körper strömen.
Eine halbe Stunde später sitze ich am Straßenrand und habe die Hände voller Öl. Der Inhalt der Kabutze ist auf dem Boden ausgebreitet, ich musste sie auseinandernehmen, um sie reparieren zu können. Eines der Kugellager ist auseinandergefallen, ich hantiere mit Werkzeug herum, und dabei versuche ich so unauffällig wie möglich zu sein, denn ich bin in einem Dorf und will nicht von einer gaffenden Menge umringt werden.
Es dauert eine halbe Minute, bis zwei Männer neben mir stehen und auf Chinesisch kommentieren, was ich gerade mache.
Da höre ich ein altbekanntes Geräusch: Es ist das Knattern des Transportmotorrads. Ich blicke hoch, und der Uigure mit dem Stift und dem Notizblock steht wieder vor mir.
»Das ist ein Deutscher«, teilen ihm die anderen beiden mit, »der repariert gerade seinen Handkarren.«
Er antwortet in gebrochenem Chinesisch. »Ich weiß. Wir haben uns vorhin schon unterhalten.«
Ich lasse die Hände sinken und blicke in sein Gesicht. Er lächelt. Es ist keine Spur von Spott in seinem Blick.
Ich wische mir den Schweiß von der Stirn.
»Brauchst du Hilfe?«, fragt er.
Ich sage: »Nein danke.« Und ich lächele zurück. »Holst du noch einmal deinen Block? Ich habe vorhin vergessen, meine Widmung hineinzuschreiben.« Mir ist jetzt etwas eingefallen, das ich reinschreiben könnte.
MOZART
Zuerst weiß ich nicht, was es ist. Ich laufe durch eine Hügellandschaft, durch kleine Dörfer, durch den dunkler werdenden Abend. Die Lichter in den Häusern gehen an, eine Frau mit Kopftuch kommt über die
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