The Sign Bd. 1 Nur zu deiner Sicherheit
bezahlen, doch ich hatte schnell meine Karte durchgezogen, bevor er es tun konnte. Mit den Getränken in der Hand gingen wir weiter.
»Hier haben wir uns kennengelernt.« Er deutete auf den Hügel, auf dem ich gestanden hatte, als ich ihn das erste Mal sah.
»Ja.« Allein der Gedanke daran brachte mich dazu, mich an seiner Stelle zu schämen. »Ich schätze, du denkst nicht besonders gern an diesen Tag.«
»Warum denn nicht?«
»Na ja, weil du, äh … verprügelt worden bist.«
»Klar.« Seine Stimme wurde sanfter. »Daran hab ich gar nicht mehr gedacht.«
Ich versuchte, mir vorzustellen, woran er denn sonst gedacht hatte, als plötzlich ein Schwarm Schmetterlinge in meinen Bauch eindrang. Ich nahm einen großen Schluck von der Limonade; es half nichts. Als ich die Dose wieder senkte, lächelte Sal mich an. »Was denn?« Ich wischte mir mit dem Handrücken übers Kinn und prüfte die Vorderseite meines Sweaters.
»Du hast Grübchen.«
Ich wagte es nicht, zu sprechen. Gerade wollte ich noch einen Schluck nehmen, doch meine Hand zitterte so stark, dass ich Angst bekam, ich würde mich vollkleckern. Ich hatte kein Problem damit, Derek zurechtzuweisen, wenn er sich lustig über mich machte, weil ich wusste, dass es Spaß war. Bei Sal dagegen war ich ein ganz anderer Mensch. In seiner Nähe zu sein, bereitete mir einerseits ein Gefühl der Wärme (was durchaus schön war), es machte mich aber zugleich nervös (und das fand ich gar nicht gut). Es schien fast so, als ließe sich mein Körper nicht mehr von meinem Gehirn steuern. Ein Schauer durchfuhr mich, und ich war mir nicht ganz sicher, ob das nun Furcht oder Aufregung war. Ich wollte nichts wie weg von hier, aber ich wollte nicht weg von ihm. Die Stille und die Verwirrung in meinem Hirn brachten mich um. Endlich fiel mir etwas ein, was ich sagen konnte.
»Ich komm hier schon her, seit ich klein war. Ich nenne ihn ›meinen Berg‹.« Seine großen braunen Augen mit den dunklen Wimpern erforschten mein Gesicht. Ich klang wie eine Zehnjährige, fand ich. »Na ja … als ich noch klein war, erschien er mir wie ein Berg.«
Sal setzte sich ins Gras; ich tat es ihm nach.
»Und mit wem bist du hierhergekommen, als du klein warst?«
Ich senkte den Blick auf den Rasen. Es war gut, wenn ich mich auf alles andere konzentrierte, nur nicht auf seine Augen. »Mit Ginnie. Wir haben immer einen Picknickkorb mitgebracht und hier unsere Decke ausgebreitet.« Ich streifte mit der Hand über die Grashalme und stellte mir vor, wie die blaue Paisley-Decke vor mir lag und Ginnie herzlich lachte, während ich mich rückwärts daraufwarf und in die Sonne blinzelte. »Ich hab da schon seit Ewigkeiten nicht mehr dran gedacht.«
Eine wahre Flut von Erinnerungen schwappte über mich hinweg und in Gedanken war ich mit einem Mal wieder fünf Jahre alt. Fast konnte ich die Erdnussbutter-Traubengelee-Sandwiches schmecken. Die lagen immer neben Sojamilch, vegetarischen Chips und Brownies auf der Decke ausgebreitet. Ginnie und ich spielten dann Verstecken – ich fand sie jedes Mal. Manchmal war ich hinterher so müde, dass sie mich an ihre Schulter gekuschelt nach Hause trug. Ich schloss die Augen und erinnerte mich, wie mich ihr Haar an der Nase gekitzelt hatte und dass sie immer nach Rosen duftete. Sie hatte Rosen geliebt.
»Hey, Nina, alles in Ordnung?«, sagte Sal sanft zu mir und berührte mich am Ellbogen.
Irgendetwas an der Art, wie er mich ansah, irgendetwas an der Tatsache, dass die Sonne meinen Rücken wärmte, dieser Ort … Plötzlich wurden meine Augen ganz feucht und meine Stimme versagte. »Ich vermisse sie so sehr.« Ich konnte nicht verhindern, dass mir die Tränen über die Wangen flossen. Das war nicht geplant gewesen, ich hatte ganz und gar nicht vorgehabt, dass ich vor Sal zu heulen anfing – vor einem Jungen, den ich kaum kannte! Tränen bedeuteten Schwäche – das war mir klar. Ginnie hatte nach Eds brutalen Attacken nie auch nur eine einzige Träne vergossen. Nicht ein einziges Mal. Wie konnte ich nur zulassen, dass ein Junge, und ausgerechnet Sal, mich weinen sah?
Doch nie im Leben hätte ich seine Reaktion vorhersehen können. Er sah nicht etwa weg oder bat mich, aufzuhören. Er streckte stattdessen seinen Arm aus und berührte meine Schulter. Ich verbarg mein Gesicht in beiden Händen und weinte, bis ich nicht mehr konnte. Als ich das Gefühl hatte, mich wieder einigermaßen im Griff zu haben, da wagte ich einen kurzen Blick auf ihn.
»Alles in Ordnung?«,
Weitere Kostenlose Bücher