Tiffany Duo Band 77
klar."
Lonnie begriff, daß dies nicht leicht werden würde, nicht für sie und nicht für ihn. „Ich wollte es von dir hören. Und nun zum nächsten Punkt. Wir hatten ausgemacht, daß du mir von dir erzählen würdest, von deiner Vergangenheit. Du weißt schon, das Gleichgewicht."
Sam griff zu seinem Glas und trank einen tiefen Schluck. Dann stand er auf und wanderte zum Fenster.
„Okay, Lonnie. Wo soll ich beginnen?"
„Beim Anfang natürlich."
11. KAPITEL
Lonnie hörte still zu, als Sam zu erzählen begann - von seiner Kindheit und Jugend, vom Unfalltod seines Vaters und der Tyrannei seiner Mutter, von dem abgebrochenen Studium und seiner Zeit beim Militär.
Seine Stimme belebte sich, als er von seiner Stationierung in Europa berichtete, von seiner Arbeit als Militärreporter für die Zeitung „Stars and Stripes". Nach Ablauf seines Vertrags als Soldat erhielt er bei einer Zeitung in Washington einen Posten als Auslandskorrespondent für Mittel- und Südamerika.
„Mein Leben war interessant und sehr intensiv", fuhr Sam fort. „Es war, als wäre ich ein anderer Mensch geworden. Ich fühlte mich befreit, all das, was mich niedergedrückt und gequält hatte, lag weit hinter mir. Aber dann holte die Vergangenheit mich ein."
Sam stand auf, durchquerte den Raum und blickte schweigend aus dem Fenster.
Lonnie wartete. „Was ist, Sam?" fragte sie schließlich, „was geschah?"
„Vor gut zwei Jahren kehrte ich in die Staaten zurück. Ich hatte meine Mutter über zehn Jahre nicht gesehen. Ein paarmal hatte ich ihr geschrieben oder sie angerufen, aber sie ignorierte meine Bemühungen.
Jedenfalls... als ich zurückkam, erfuhr ich, daß die Firma meines Vaters Pleite gemacht hatte und meine Mutter im Krankenhaus lag. Krebs. Ich wollte sie besuchen, aber sie sagte mir am Telefon, daß sie mich nicht sehen wolle. Sie warf mir vor, ich hätte sie im Stich gelassen und sei Schuld am Niedergang der Firma, und das würde sie mir nie verzeihen."
Lonnies Herz schnürte sich zusammen. Sams Geschichte kam ihr allzu bekannt vor, und ihr erster Impuls war, zu ihm zu gehen und ihm tröstende Worte zu sagen. Aber an seiner angespannten Haltung sah sie, daß noch mehr kommen würde.
Sam stieß einen tiefen Seufzer aus. „Obwohl sie sterbenskrank war, hatte sie sogar meinem Onkel verboten, mich zu verständigen. Ich be suchte sie im Krankenhaus, aber sie weigerte sich, mit mir zu sprechen. In derselben Nacht starb sie."
„O Sam, das tut mir leid", flüsterte Lonnie. Wieder wollte sie zu ihm, und wieder spürte sie, daß seine Geschichte noch nicht zu Ende war.
„Und dann bin ich ausgerastet. Der ganze Schmerz der Vergangenheit brach an die Oberfläche und zog mich hinab wie die Strömung eines Flusses. Ich versuchte dagegen, mich auf andere Art zu ertränken - in Alkohol."
Sam begann, vor dem Fenster auf- und abzugehen. „Mir war jede schmerzbetäubende Flüssigkeit recht. Es mußte kein erlesener Wein sein", sagte er spöttisch, „ich trank, was mir unter die Finger kam, bis Onkel Charlie mich in seine Berghütte brachte und zum Ausnüchtern zwang. Er sagte mir, daß ich wie ein Sohn für ihn sei, daß er mich liebte und an seiner Zeitung bräuchte, die er mir übergeben wolle. Ich überwand meine Krise. Plötzlich hatte mein Leben wieder einen Sinn, und ich ließ alles andere hinter mir."
Lonnie wußte, daß man einen so tiefen Schmerz nicht so leicht „hinter sich ließ". Nun endlich stand sie auf und ging zu Sam.
Sie legte den Arm auf seinen Rücken und streichelte ihn sanft. „Sam, Vergebung ist der schwierigste Liebesbeweis, und einige Menschen bringen es nicht fertig, das erlösende Wort zu sagen. Das bedeutet aber nicht, daß keine Liebe da ist."
Er drehte sich zu ihr, blickte in ihr offenes, klares Gesicht. Seine Züge wurden weich. „Ich weiß, was du mir zu sagen versuchst, aber..."
„Sam, es ist wie mit dem Fluß dort unten. Im Winter bildet sich darauf eine Eisschicht, und dasselbe passiert mit Menschen, die verletzt wurden. So ist es bei dir, und so war es bei deiner Mutter. Aber unter der Eiskruste" - Lonnie ließ die Hand zu seinem Herzen wandern - „und unter dem Schmerz, den sie einschließt, fließt Liebe. Die Liebe unter dem Eis bleibt lebendig."
Lonnie streichelte sanft Sams Gesicht, zeichnete mit dem Finger die Narbe auf seiner Wange nach. „Deine Mutter liebte dich, Sam. Sie hatte nur nicht genug Zeit und Kraft, um die Eisschicht zum Schmelzen zu bringen. Das war ihre Tragik
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