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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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Gold und Silber an schwarzen Schnüren verkauft. Eines Tages erstand ich eines für acht Dollar und legte mein enges schwarzes Halsband ab. Selig schenkte ich die zwei Dollar Wechselgeld ein paar Obdachlosen, die auf der Bleecker Street bettelten.
    An den Tischen mit den eingelegten Schachbrettern aus Granit im Washington Square Park wurde Peter immer von alten Männern zum Schach aufgefordert, und er konnte nie widerstehen. Es gab einen grauhaarigen Schwarzen, den Peter den »Großmeister« nannte. Seine Augen waren so dunkel wie die Tasten von Irenes Schreibmaschine, und er sprach so leise, dass Peter die Hand hinters Ohr halten musste, um ihn zu verstehen. Als der Großmeister sich eine von Peters King 100 in den Mund steckte, sah ich, dass er kaum noch Zähne hatte, genau wie Peter. Erst da fiel mir auf, dass Peter sein Gebiss nicht mehr trug. Als ich ihn darauf ansprach, sagte er, es sei unangenehm zu tragen; er hätte sich angewöhnt, mit geschlossenem Mund zu lachen, und es sei nicht wichtig, was die Leute über ihn dachten, solange er sich in seiner eigenen Haut wohlfühlte. Für mich machte es keinen Unterschied, ob er Zähne hatte oder nicht, so wie es mir egal gewesen war, dass an Stelle des Aquariums mit den Schildkröten jetzt ein Stall stand oder dass der Behälter des Leguans von einem Klavier ersetzt worden war, so wie es mir egal gewesen war, dass Kaninchenspielen keinen Spaß mehr machte und Super-Tiger vergessen war, ebenso wie die Kitzelfolter und die anderen Spiele von damals, als ich acht Jahre alt war. So wie es egal war, dass Karen meine Schwester gewesen war, ich sie aber niemals wiedersehen würde.
    Wichtig war, dass Mommy und ich nun täglich nach der Schule zu Peter gingen, nicht nur an zwei Tagen die Woche. Wir aßen nicht mehr zusammen mit Poppa; er gab meiner Mutter jeden Tag fünfzehn Dollar für unsere Mahlzeiten. Meistens legte er das Geld auf den Küchenschrank, nur wenn er schlechte Laune hatte, warf er es auf den Boden. Wenn Inès nach Hause kam, kochte sie Gerichte wie Hühnchen mit Reis und Bohnen oder Spaghetti für die »Bande da oben«, wie Peter sie nannte, während meine Mutter, Peter und ich zur Avenue gingen und in einem Fünfziger-Jahre-Restaurant namens Yummy’s oder auch bei El Pollo Supremo aßen. Hin und wieder gingen wir die Palisades runter zur 42nd Street und speisten in einem überfüllten Laden, der sich El Unico nannte. Der war unvorstellbar billig, und man bekam Berge von weißem oder gelbem Reis, weiße oder schwarze Bohnen, Yucca, gebratene Bananen und Hühnchen. Manchmal beschwerte sich Poppa, dass wir nicht mehr mit ihm aßen, doch dann erinnerte Mommy ihn daran, dass ich früher kaum etwas zu mir genommen hatte und möglicherweise einen Herzstillstand bekommen hätte, wenn es so weitergegangen wäre, wie Karen Carpenter. Ich ging davon aus, dass Poppa sich nur zum Schein beschwerte; insgeheim war er froh, dass wir nicht mehr mit ihm aßen. Außerdem hatten wir ihm mit unseren Angewohnheiten bei Tisch angeblich immer den Appetit verdorben, mit unserem Schmatzen und weil wir uns den Mund nicht abwischten; er sagte oft, es sei ein Wunder, dass er überhaupt Nahrung aufnehmen könne, wenn er meine Mutter mit ihrem leeren Gesicht oder mich sähe, die mit der Gabel die Erbsen und Bratkartoffeln über den Teller schob. Doch am meisten störte Poppa unser Schweigen.
    »Ich lebe in einem Haus voller Mönche«, sagte er manchmal. »Ihr schleicht herum wie Mönche, ihr starrt ins Nichts wie Mönche. Ihr latscht herum wie Bucklige. Ihr habt Gesichter wie Zombies.«
    Wenn wir gegen neun Uhr abends von Peter nach Hause kamen, war Poppa schon oben und sah fern auf dem kleinen Apparat in seinem Zimmer oder er war unterwegs, in der Bar.
    ***
    Irgendwann im Sommer 1991, mehrere Monate nach unserem Wiedersehen auf der Treppe, begann Peter, mich zu bitten, seinen Penis kurz zu küssen, zu lecken oder daran zu saugen, wenn meine Mutter unterwegs war. Eines Tages nahm er mich mit in den Keller. Ich wusste nicht, wo meine Mutter war. Peter sagte mir, sie hätte bei Pathmark einen frisch geschiedenen Mann kennengelernt, Juan, aber sie wollte nicht, dass ich das erfuhr. Obwohl ich Juan nicht kannte, hoffte ich, dass meine Mutter sich von Poppa scheiden lassen und Juan heiraten würde.
    Mommys neustes Hobby war es, Hotlines und Freundinnen anzurufen und mit ihnen zu beratschlagen, ob es richtig sei, dass ich meine ganze Zeit mit Peter verbrachte. Sie behauptete, sie würde immer

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