Tod in Garmisch
übernimmst, bin ich um sechs wieder
da«, sagte Andi und zog seine Schürze aus.
»Ich übernehme jetzt, und du bist morgen Mittag wieder
da, würd ich sagen.«
»Tun Sie ihm doch den Gefallen«, sagte Herr Kant.
» Ihm? Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor.«
»Möglich«, sagte Kant.
Magdalena rutschte von ihrem Hocker, ging hinter die
Bar und griff nach dem Shaker.
»Was trinkt der Herr denn?«, fragte sie Andi.
»Florida Bitter. Also bis gleich.«
»Tschüss. Und danke«, sagte Herr Kant, als Andi
hinausging.
»Haben Sie ihn bestochen?«, fragte Magdalena.
»Aber nein. Dazu gab es keinen Anlass. Aber es wird
sich positiv aufs Tip auswirken.« Er trank seinen Cocktail aus und stand auf.
»Ich muss auch noch arbeiten. Wir sehn uns. Ist sieben Uhr recht?«
»Ja. Das passt …«, hörte Magdalena sich sagen.
Dann war Kant verschwunden.
* * *
»Ich meine ja, vier Augen hätten mehr gesehen als
zwei«, sagte Schafmann.
»Möglich.« Schwemmer stellte die Rückenlehne seines
Bürostuhls nach hinten und lehnte sich entspannt zurück. »Als ich noch in
Ingolstadt war«, sagte er, und Schafmann verdrehte die Augen, »da haben wir mal
nach einem Raubüberfall den Tatort abgesucht, einen Parkplatz. Wir hatten den
Mann, aber die Waffe war weg, und die brauchten wir, sonst wär er womöglich
davongekommen. Mit zwölf Mann haben wir gesucht. Am helllichten Tage. Und
nichts haben wir gefunden. Am Abend ruft mich eine Dame an. Ihr Wagen hat beim
Starten komische Geräusche gemacht. Sie guckt unters Auto, auf einmal fällt ein
Revolver auf die Straße. Der Kerl hatte ihn auf den Auspufftopf gelegt.«
»Und?«, fragte Schafmann.
»Was, und?«
»Was lernen wir daraus? Dass vierundzwanzig Augen
weniger sehen als zwei?«
»Kommt zumindest vor«, sagte Schwemmer.
Es klopfte, und Frau Fuchs kam herein. Sie legte
diskret einen Zettel vor Schwemmer auf den Schreibtisch. »St. Benoît im Hotel
Maximilian, 19:30 Uhr, 2 Personen«, las Schwemmer.
Er nickte Frau Fuchs freundlich zu, sie errötete und
ging stumm wieder aus dem Zimmer.
»Acht Uhr in München, morgen früh«, sagte Schwemmer,
aber Schafmann schüttelte den Kopf.
»Weißt du was? Fahr da mal schön allein hin. ‘ne Leich
vorm Frühstück ist kein Problem für mich. Aber um die Zeit eine Stunde mit dir
im Auto: nein danke. Und wenn einer fragt: Ich hab’s am Magen.«
Er stand auf und ließ Schwemmer allein. Der kratzte
sich am Kopf. Vielleicht hatte er die Toleranz seines Kollegen in letzter Zeit
wirklich etwas über Gebühr strapaziert.
Er zuckte die Schultern und griff nach den Akten des
Tagesgeschäfts.
* * *
Punkt sechs stand Andi wieder im Foyer, und Magdalena
verabschiedete sich eilig in ihr Apartment. Eine Stunde Vorbereitung für ein
Essen in einem Sternerestaurant war knapp bemessen. Sie duschte kurz und cremte
ihren Körper ein. Dabei zwang sie sich, nicht in den Spiegel zu sehen. Sie mochte
ihre muskulöse Statur nicht, wäre gern etwas mädchenhafter gewesen. Tatsächlich
fand sie sich zu dick, obwohl es kaum Fett an ihr zu entdecken gab. Vor Jahren
hatte ein Liebhaber sie einmal als »kräftig« bezeichnet. Er hatte das als
Kompliment gemeint, sagte er zumindest, aber in Magdalenas Ohren hatte es
geklungen wie »Gewichtheberin«. Sie hatte den Mann nie wieder getroffen.
Während sie Make-up auflegte, kreisten ihre Gedanken
unablässig um ihre Garderobe. Für eine vernünftige Frisur fehlte ohnehin die Zeit.
Sie steckte die dunkelblonde Mähne einfach in einem wilden Knoten nach oben.
Wenigstens ihre Haare taugten zu etwas.
Schließlich der Moment der Wahrheit vor dem
Kleiderschrank. Er enthielt in erster Linie strenge Kostüme mit angedeuteten
Trachtenapplikationen, ihre Arbeitskleidung. Die schied natürlich aus.
Dann waren da drei wirklich schöne Kleider, die aber
für die Jahreszeit zu luftig und für den Anlass zu bunt waren. Sie versuchte
sie mit einem Jackett zu kombinieren, aber das war albern.
Tatsache war: Sie besaß nichts, was mit den Maßanzügen
Kants auch nur annähernd mithalten konnte. Trotzig schob sie das Kinn vor und
begann die Suche erneut.
Diesmal unter dem Aspekt »Flucht nach vorne«.
Kant lehnte am Empfangstresen und unterhielt sich mit
Andi, als sie exakt getimt um neunzehn Uhr sechs die Treppe hinunterschritt.
Andi öffnete stumm den Mund, als er sie sah. Kants
Gesichtsausdruck changierte zunächst ein wenig, blieb dann aber anerkennend.
»Gibt’s zu der Jacke auch ein Motorrad?«, fragte
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