Töchter auf Zeit
sehen nach, ob nur der Eierstock betroffen ist oder ob der Krebs schon gestreut hat.«
»Okay«, brachte ich heraus. Dann stand ich auf, nahm Sam hoch und lief mit ihr wie ein Tiger im Käfig im Zimmer auf und ab. »Wir brauchen die
besten
Ärzte. Wir gehen ins Johns Hopkins. Zum Glück wohnen wir in der Hauptstadt von Amerika. Hier gibt es die allerbesten Doktoren. Wir müssen nur zu den besten gehen, dann wirst du auch wieder gesund. Stimmt’s, Claire?«
»Ich bin in guten Händen«, sagte sie. »Im Moment geht es nur um einen Routineeingriff. Mag sein, dass sich das noch ändert, aber im Moment …«
»Was sagt Ross dazu?«
»Ross verschließt die Augen vor der Wahrheit«, antwortete Claire. »Außerdem ist er irgendwie wütend auf mich, weil ich die Symptome nicht früher erkannt habe. Er meint, wegen Moms Geschichte hätte ich das doch wissen müssen. Als ob ich wüsste, wie sich Eierstockkrebs anfühlt. Blöd nur, dass es keine wirklichen Symptome gab. Ich habe nur ab und zu ein Stechen in der Seite gespürt. Ich dachte, das wäre ein Muskelkater. Jetzt, da ich weiß, was es ist, erinnere ich mich auch, dass ich mich hinund wieder so aufgebläht gefühlt habe. Aber das ist doch nichts Schlimmes, das geht doch jedem mal so, dachte ich.«
»Was ist mit Maura? Hast du es ihr schon gesagt?«
Maura war die Sorte Kind, die sich lieber in die Arme ihrer Mutter kuschelte, als fernzusehen oder mit ihren Puppen zu spielen, und die lieber von ihr ein Gutenachtlied vorgesungen bekam, als sich vor dem Einschlafen eine CD anzuhören.
Als Claire Mauras Namen hörte, sackte sie zusammen wie Hefeteig unter Zugluft und vergrub sich in den Kissen. »Nein, noch nicht.«
Ich legte mir Sam ein Stück höher an die Schulter und umschloss sie mit beiden Armen. Ich sah Claire in die Augen und versuchte ihr wortlos zu sagen, dass ich wusste, dass sie der Gedanke, Maura allein lassen zu müssen, in Panik versetzte, aber dass auch ich sie brauchte wie die Luft zum Atmen.
»Was willst du tun? Hast du einen Plan?«, fragte ich sie. Immerhin ging es um Claire. Sie hatte immer einen Plan.
Claire setzte sich im Bett auf und legte die Hände in den Schoß. »Der Plan sieht so aus: Ich werde eine ganze Weile mit OPs, Untersuchungen, wahrscheinlich Chemo und dann noch Bestrahlung beschäftigt sein. Und hier kommst du ins Spiel. Ich möchte, dass Maura ab sofort viel Zeit mit dir und Sam verbringt, damit das ganz normal für sie wird. Eine zuverlässige Komponente in ihrem Leben. Sie mag dich und Tim sehr. Und sie gefällt sich in der Rolle der großen Cousine von Sam. Ich weiß, dass ich viel von dir verlange, Helen, schließlich ist Sam erst seit Kurzem hier. Aber es wäre mir eine große Hilfe, wenn Maura oft bei dir und deiner Familie ist. Ich habe keine Ahnung, was Ross tun wird und was er übernehmen kann. Klar, er kümmert sich, aber in manchen Situationen wird sie eine Ersatzmom brauchen. Du weißt, wie viel Aufmerksamkeit und Nähe sie braucht.«
»Ich tue alles für dich, Claire. Versprochen. Was immer du brauchst.«
»Mit etwas Glück habe ich das Schlimmste schon im Sommer hinter mir, und dann geht unser Leben weiter, als wäre nichts gewesen.«
Sechs Monate, okay. Claire hatte ihren Plan also ausgearbeitet und sich sogar eine Frist gesetzt. Mithilfe ihres Tagesplaners, einem Packen Textmarker und ihrem eisernen Willen würde Claire den Krebs in Rekordzeit besiegen. Wir sprachen immerhin von meiner großen Schwester. Von dem Menschen, der mich im Gegensatz zu Mom und Dad nicht verlassen hatte.
Nach ein paar Minuten legte ich Sam Claire in die Arme, ging nach unten in die Küche und stellte mich an den Herd. In derart schlimmen Zeiten brauchte Claire Erdnussbutter-Schokoplätzchen und ein riesiges Glas Milch dazu. Mehr konnte ich im Moment nicht für sie tun. Wir stopften uns die Bäuche voll, bis wir beinahe platzten.
»Claire«, sagte ich leise. »Ich weiß, das ist jetzt nicht der richtige Moment, aber auf der anderen Seite ist er es eigentlich schon.«
»Was meinst du, Helen?«
»Keine Ahnung, aber, ach, ich weiß nicht … Als wir in China waren und Sam krank wurde, ist mir so manches klar geworden. Dass wir Mom verloren hatten, haben wir nicht ändern können. Aber bei Dad war das anders, da hätten wir etwas tun können. Wie auch immer, ich habe mir in China felsenfest vorgenommen, unsere Familie wieder zusammenzubringen.«
»Es geht also um Larry?«
»Jetzt, da du krank bist … ich glaube, er würde
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