Tödlicher Ruhm
kein kleines Messer in dem Kasten, als wir ihn durchsucht haben. Und auch im ganzen Zimmer nicht.«
»Na, ja, Sir, wenn er plötzlich beschlossen hätte, dem Opfer stattdessen zur Toilette zu folgen, hätte er es wieder in die Küchenschublade legen können, als er das größere holte.«
»Das glaube ich nicht, Sergeant. Wie hätte er sich in dieser Finsternis denn sicher sein sollen? Ob er die richtige Person erstochen und die Sache ordentlich zu Ende gebracht hatte? Wahrscheinlich wäre es ein entsetzliches Chaos geworden. Er hätte nur eine Nase oder sonst was abgeschnitten. Oder die falsche Nase oder sich selbst einen Finger.«
»Aber irgendwann musste er es ja tun. Woher sollte er wissen, dass sich eine bessere Chance ergeben würde?«
»Das wusste er nicht, aber er hat gewartet. Wäre die Chance nicht gekommen, hätte er vermutlich einfach weiter gewartet.«
»Wie lange? Bis sein Opfer rausgewählt worden und ihm endgültig entkommen wäre?«
»Aber er oder sie wusste, dass das Opfer in dieser Woche nicht nominiert war, was ihm eine Gnadenfrist von mindestens acht Tagen gab.«
»Ich sage ja nur«, beharrte der Sergeant, »wenn ich in diesem Haus jemanden ermorden wollte, würde ich wahrscheinlich denken, dass sich mir kaum eine bessere Gelegenheit bieten dürfte als so ein enger, dunkler Schwitzkasten, in dem nur Betrunkene hocken.«
»Der Alkohol ist bestimmt ein Faktor. Meiner Ansicht nach hat er gewusst, dass die Leute früher oder später zur Toilette mussten.«
»Er konnte nicht sicher sein.«
»Er konnte in keiner Hinsicht sicher sein. Wann und wieso er diese Tat auch immer begehen wollte: Die ganze Sache wäre in jedem Fall riskant.«
Coleridge sah sich den Time-Code auf dem Video an. Sie hatten die Pausetaste bei 23:38 Uhr gedrückt. Er wusste, wenn er Start drückte, würde das Zählwerk auf 23:39 Uhr weiterticken, und Kelly Simpson würde aus dem Schwitzkasten kommen und den letzten, kurzen Gang ihres Lebens antreten.
Kelly Simpson, so jung, so leidenschaftlich und ihres spaßbestimmten Schicksals so sicher, sollte in diesem blödsinnigen Haus sterben. Coleridge sah sie noch vor sich, wie sie an jenem ersten Tag im Haus ausgesehen hatte, wie sie begeistert in den Pool gesprungen war. Und nun war es 23:38 Uhr an Kellys letztem Tag im Haus, und in wenigen Minuten würde sie einmal mehr im Nassen liegen — in einer Lache aus ihrem eigenen Blut.
»Worauf ich hinauswill, Sir«, drängte Hooper, »ist Folgendes: Wenn er geplant hatte, sie umzubringen, wovon wir ja ausgegangen sind, dann muss er die Möglichkeit in Betracht gezogen haben, sie im Schwitzkasten zu erledigen. Er hätte weder mit Sicherheit sagen können, dass sie aufs Klo gehen würde, noch dass er seine Identität würde geheim halten können, wenn er ihr dorthin folgte.«
Coleridge starrte lange den Bildschirm an. Kaum zu glauben, dass acht Leute in dieses dämliche kleine Plastikding passten. »Es sei denn, der Katalysator für den Mord wäre erst ins Spiel gekommen, nachdem sie in den Kasten gestiegen waren«, sinnierte er. »Es sei denn, das, was den Mörder dazu bewegt hat, Kelly ermorden zu wollen, ist erst kurz, bevor sie zur Toilette ging, passiert, und er wäre ihr tatsächlich in einem Akt spontanen Zorns nachgelaufen.«
»Oder aus Angst.«
»Ja, das stimmt. Oder aus Angst. Denn da sich diese Leute schließlich gar nicht kannten, bevor sie ins Haus einzogen...«
»Das zumindest hat man uns gesagt, Sir.« Diese Bemerkung stammte von Trisha, die gerade mit einer Runde Tee hereingekommen war.
»Ja, das stimmt, Constable, das hat man uns gesagt«, meinte Coleridge. »Wir sind von der Theorie ausgegangen, dass der Auslöser für diesen Mord irgendwann zwischen dem Einzug der Bewohner ins Haus und dem Moment stattgefunden haben muss, als sie in die Kiste gestiegen sind. Aber natürlich könnte auch etwas Schreckliches passiert sein, nachdem sie schon in der Kiste saßen.«
»Es würde bestimmt erklären, wieso bei Peeping Tom keiner eine Idee für ein Motiv hat«, räumte Trisha ein, während sie Zucker in Coleridges Tee gab.
»Das würde es allerdings. Denn schließlich hat sich diese Situation zu einer Orgie ausgeweitet.«
Coleridge sprach das Wort »Orgie« mit rollendem »r«. Hooper fragte sich, ob er es wohl mit Absicht tat, und kam zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich so war. »Eine eher brisante Konstellation, schätze ich, so eine Orgie«, fuhr Coleridge fort.
»Vermuten Sie eine Vergewaltigung, Sir?«,
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