Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
lang war sein Gesicht zornverzerrt. Er schluckte und bekam sich anscheinend wieder in den Griff. »Das läuft auf dasselbe hinaus«, sagte er.
»O nein. Bei dem Wie geht es um dich. Beim Nichtwollen um mich.«
Er lief rot an und sah weg. Delilah merkte, dass sie es zu weit getrieben hatte, so wahr ihre Worte auch waren. Sie konnte ungeheuer geduldig und raffiniert sein, wenn es darum ging, einer Zielperson Informationen zu entlocken, aber bei Rain fiel sie automatisch auf ein primitiveres, tiefer verwurzeltes Ich zurück. Ihre Gefühle für ihn waren zu stark, das war das Problem. Sie bewirkten, dass sie sich selbst vergaß. Sie förderten ihre unverfälschten Seiten zutage, die schlechten wie auch die guten.
Sei ein bisschen geschickter, dachte sie. Nicht nur für dich. Auch für ihn.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Aber es macht mir einfach … Angst, wenn du alles in dich hineinfrisst. Das macht mich unsicher. Ich bin es nicht gewohnt, mich so zu fühlen.«
John leerte seinen Glenmorangie. Normalerweise trank er einen guten Single Malt mit Genuss. Ihn so herunterzukippen sah ihm nicht ähnlich. »Wie meinst du das?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Na ja … gewisse Teile von dir zeigst du mir einfach nicht. Und manchmal hab ich das Gefühl, es sind gerade die wichtigsten Teile.«
Er goss sich einen weiteren Whiskey ein und schenkte ihr nach. Sie saßen eine Weile schweigend da, Delilah nippte an ihrem Whiskey, Rain nahm einen großen Schluck. Der Feuerschein spielte auf den Wänden.
»Ich weiß nicht, warum du mit mir zusammen sein willst«, sagte er, während er in die Flammen starrte.
»Warum sagst du das?«
Er sah sie weiterhin nicht an. »Wegen dem, was ich bin.«
»Und was bist du?«
»Das weißt du.«
»Nein. Ich weiß nur, was ich für dich empfinde.«
Er schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: Nein, du verstehst nicht, was ich meine. Dann blickte er sie an, die Lippen gespitzt, und suchte offensichtlich nach Worten. Diesmal bemerkte sie in seinen Augen etwas ganz anderes, als sie beim Essen gesehen hatte. Sie hatte es noch nie zuvor bei ihm gesehen und war sich nicht ganz sicher, was es war. Aber wenn sie es mit einem Wort hätte benennen müssen, dann wäre ihr nur eines eingefallen: flehend.
»Ich … bin … ein … Killer!«, flüsterte er beschwörend, als wäre er wegen des Geständnisses beschämt und zugleich bestürzt darüber, dass sie nicht begreifen konnte, was das hieß.
Er schaute wieder weg. »Sieh mich doch an«, sagte er, und seine Stimme wurde lauter. »Ich kann nicht aufhören. Ich schaffe es höchstens mal, eine Pause einzulegen, wie ein Alkoholsüchtiger, der einen Entzug macht und wieder rückfällig wird. Aber richtig trocken werde ich nie. Und weißt du, warum? Weil ich das bin. Weil ich so bin.«
Er schüttete den Rest von seinem Whiskey in sich hinein und knallte das leere Glas auf den Couchtisch. Dann stand er auf und ging hin und her, mit unstetem Blick und geballten Fäusten. Er war dermaßen angespannt, dass es aussah, als würde sein Körper gegen sich selbst kämpfen, so straff spannte sich die Muskulatur unter der Kleidung.
Delilah stand auf und stellte sich ihm in den Weg. Er blieb schwer atmend vor ihr stehen. Kein Wunder, dass er so intensiv trainierte. Wenn er sich nicht abreagierte, würde ihn sein innerer Kampf verzehren.
»Hey«, sagte sie, bemüht, seinen Blick aufzufangen. »Hey. Ich kenne dich. Vielleicht besser, als ich je einen Menschen gekannt habe. Erzähl mir nicht, dass du nur das bist und sonst nichts.«
Er lachte rau. »Was zählt denn sonst noch?«
Sie nahm sein Gesicht in die Hände und zwang ihn, ihr in die Augen zu sehen. »Du«, sagte sie. »Was du beschließt zu sein. Das zählt.«
»Ich rede davon, was ich bin.«
Sie schüttelte den Kopf. »Was du entscheidest, das allein zählt. Nicht das, was du getan hast, oder deine Fähigkeiten oder die Ausbildung, die du hattest, nicht mal deine Neigungen. Deine Entscheidungen machen dich zu dem, der du bist. Alles andere kannst du verändern.«
»Du verstehst nicht …«
»Doch. Du bist nicht Gil. Du bist kein eiskalter Killer. Reduzier dich nicht nur darauf. Finde eine Möglichkeit, mehr zu sein. Du kannst es, das habe ich in Paris gesehen.«
»In Paris hab ich mir was vorgemacht. Und ich glaube, dir auch.«
»Nein! Du machst dir jetzt was vor oder versuchst es zumindest. Du bist in einer schlimmen Lage, und du hast Angst um deinen Freund. Lass nicht zu, dass
Weitere Kostenlose Bücher