Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
Mut bewiesen, als du Elise gerettet hast«, fing er an, sobald sie saß. Er hob ein wenig theatralisch die Hand. »Alles hier ist fremd und anders, aber du wirst dich an unsere Lebensart gewöhnen. Wir geben dir die nötige Zeit dazu, keine Sorge.«
Kate atmete erleichtert auf, hatte sie doch mit Schelte statt Verständnis gerechnet.
»Ich möchte studieren, Vater. Naturwissenschaften«, platzte sie unvermittelt heraus.
Seine Augen wurden groß, dann brach er in Gelächter aus.
»Du machst Scherze, nicht wahr?«, fragte er amüsiert, sobald er sich beruhigt hatte. An ihrem Gesichtsausdruck las er wohl ab, dass dem nicht so war. Sein Lächeln wurde dünner und verschwand schließlich ganz.
»Unmöglich. Das ist allein uns Männern vorbehalten. Niemand will Frauen als Wissenschaftler, Ärzte oder Apotheker sehen. Das ist unnatürlich«, stellte er stirnrunzelnd fest.
Kate rang nach Luft, als hätte er ihr in den Magen geboxt.
»Sie können noch keinen regulären Abschluss erwerben, die Vorlesungen dürfen die Studentinnen aber besuchen«, argumentierte sie.
Ihr Vater musterte sie erst, dann schüttelte er den Kopf.
»Frauen gehören nicht an Orte, die uns Männern vorbehalten sind. Außerdem weiß jeder, dass das weibliche Gehirn leichter und weniger entwickelt ist als das männliche.«
Er lächelte und tätschelte ihre Hand, wie er es mit Elise gemacht hätte.
»Ich bin sicher, du siehst ein, wie viel passender es ist, deine Fähigkeiten in weiblicheren Bereichen weiterzuentwickeln.«
Kate wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Wie dumm von ihr anzunehmen, er verstünde, was in ihr vorging.
Was würde er erst sagen, wenn sie ihm anvertraute, sie wolle die Welt bereisen und plane, darüber zu schreiben?
Erklärte er sie dann für verrückt?
»Jedes Geschlecht hat seine eigenen Stärken«, belehrte er sie. »Euch ist gegeben, Leben zu schenken und ...«
Sie ertrug die folgenden Ausführungen mit gesenktem Kopf und ohne wirklich zuzuhören.
Das Klingeln des Telefons rettete sie.
»Du teilst meine Ansicht?«, fragte er mit einer Hand am Apparat.
»Ihr wollt das Beste für mich, das weiß ich«, antwortete sie ausweichend. Alles andere hätte nur weitere Ermahnungen nach sich gezogen.
Er nahm ab und bedeutete ihr, sie könne gehen.
Sie eilte in ihr Zimmer, warf sich aufs Bett und trommelte mit den Fäusten auf der Decke herum. Wieder fühlte sie sich wie eine Gefangene, diesmal in einem vergoldeten Käfig.
Der Junge, der für das Kaminfeuer zuständig war, kam mit einem Armvoll Holzscheite herein. Er huschte mit seiner Last zum Kamin. Kate stutzte. Hatte sie gerade ein blaues Auge und eine aufgeplatzte Lippe bei ihm gesehen? Sie ging zu ihm.
»Woher hast du das?«, fragte sie ihn.
Er drückte den Kopf noch tiefer auf die Brust. Auf kaum vierzehn schätzte sie ihn.
»Mein Verschulden, Mylady.«
»Das ist keine Antwort. Woher?«
So sehr er sich sträubte, sie ließ ihn nicht gehen, bevor sie die Wahrheit kannte.
Der Zorn des Oberdieners hatte ihn in Form von zwei Faustschlägen getroffen, weil er das Feuer im Salon hatte ausgehen lassen.
Kate schluckte, fasste sich an die Wange und fuhr darüber. Seine Verletzungen erinnerten sie an Madames Quälereien, die Kniffe mit den spitzen Fingernägeln und die zurückgebliebenen kleinen Narben.
»Ich werde mit meinem Vater sprechen. Solche Behandlung kann er nicht gutheißen.«
Der Junge schüttelte den Kopf.
»Bitte nicht«, stammelte er. »Der Oberdiener. Wenn der davon hört. Der schickt mich zurück ins Arbeitshaus. Alles, bloß das nicht.«
Seine Angst verstörte Kate. Sie erinnerte sich an Charlies Bemerkung über den Horror seiner Kindheit an einem solchen Ort. Bevor sie einen Fehler machte, würde sie besser Maria befragen, was sie dazu meinte.
Eins war klar. Zwischen den Problemen des Jungen und den ihren lagen Welten. Beschämt drückte sie ihm eine Münze in die Hand und ließ ihn die Arbeit zu Ende bringen.
Das schlechte Gewissen quälte sie. Warum gelang es ihr nicht, glücklich zu sein, und ihr Leben als Tochter eines Barons ausreichend zu würdigen? Wieso reichte es ihr nicht, wunderschöne Kleider zu tragen und über die neueste Mode zu reden? Weshalb fühlte sie sich, als ersticke sie langsam unter einer Schicht von Regeln? Alles nur ihr Fehler.
25. Noch mehr Irritationen
Sie nutzte die nächste Gelegenheit, um mit Maria über die Blessuren des Jungen zu sprechen. Deren Antwort kam ohne Zögern.
»Der Bursche ist gut
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