Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
hatte, bedeutete das nicht, dass sie die Angelegenheit beerdigen würde. Nur musste sie geschickt vorgehen und durfte niemanden verärgern. Beides gehörte bekanntermaßen nicht gerade zu ihren besonders ausgeprägten Eigenschaften.
Sie wartete auf einen günstigen Augenblick und erkundigte sich dann bei ihrer Mutter, worauf eine Hausherrin bei der Unterbringung der Dienstboten zu achten habe.
Ihr Versuch, harmlos und unverdächtig zu klingen, gelang auf ganzer Linie. Ihre Mutter reagierte geradezu begeistert auf ihre Frage.
»Wie schön! Endlich zeigst du Interesse an der Führung eines Hauses. Nur noch wenige Jahre, dann wirst du als Ehefrau ebenfalls einem vorstehen und musst deine eigenen Entscheidungen treffen.«
Kate nickte gehorsam. Dass sie nicht vorhatte, in absehbarer Zukunft einen Heiratskandidaten zu finden, behielt sie vorläufig besser für sich.
»Zu deiner Frage. Meine Mutter hat mich gelehrt, sobald Bedienstete Ansprüche stellen, gehören sie entlassen. Ein einfaches Quartier, mehr benötigen sie nicht. Verhätschel sie nicht, das macht sie faul und aufsässig.«
Sie musste Kates Entsetzen bemerkt haben, denn sie tätschelte ihr den Oberarm und setzte hinzu: »Diese Leute sind nicht so empfindsam wie wir, Kind. Sie sind robuster, spüren die Kälte kaum und brauchen weniger Schlaf. Behandelst du sie zu freundlich, tanzen sie dir auf der Nase herum. Vergiss nicht, Gott hat uns für diese gesellschaftliche Stellung auserwählt, weil er uns dafür geeignet hält.«
Wie kamen diese grausamen Sätze aus dem Mund einer Person, die Kate bisher als harmlos und gutherzig kennengelernt hatte? Diesmal bemerkte ihre Mutter nicht, wie verstört sie war.
»Wie gut, Mrs. Harris zu haben«, sagte sie und lachte ihr glockenhelles Lachen. »Sie erledigt diese unschönen Dinge für mich. Eine Schwangere vor die Tür zu setzen, liegt mir einfach nicht.«
Das Blut pochte in Kates Ohren. Nur nichts erwidern, nicht protestieren, sonst verriet sie in ihrer Aufgewühltheit noch Maria, und sie musste ihr Versprechen halten. An die Zeit bei Gustav und Madame zu denken, half. Dort hatte sie gelernt, zu schweigen, obwohl sie vor Wut außer sich war und das herausschreien wollte.
»Wenn du weitere Fragen hast, kannst du sie mir jederzeit stellen«, säuselte ihre Mutter und wirkte dabei so freundlich wie immer.
Kate zwang sich zu einem Lächeln, nickte und dankte ihr. Dann sah sie zu, aus dem Raum zu kommen, bevor ihre zitternden Hände auffielen.
Einige Tage später war Maria wieder gesund. Beide hüteten sich, einander auf die Begegnung in der Dachkammer anzusprechen.
Dennoch konnte Kate nicht glauben, dass ihre Eltern die Angestellten derart vernachlässigten.
Sie nahm sich ein Herz und passte ihren Vater ab. Nach dem Frühstück fuhr er in der Regel in den Club, traf sich dort mit Parteifreunden und kam erst spät abends zurück. Häufig verpasste er dadurch das gemeinsame Dinner, sodass sie ihm den ganzen Tag nicht mehr begegnete. Heute jedoch hatte er seinem Diener mitgeteilt, er bliebe im Haus. Sie nutzte die Gelegenheit und besuchte ihn in seinem Büro. Auf ihr Klopfen reagierte er erst nicht, doch sie gab nicht auf, bis er sie endlich hineinrief.
Er saß hinter dem Schreibtisch, zog an seiner Pfeife und hielt einen Schriftsatz in der Hand. Ungeduldig blickte er zu ihr hoch und hob fragend die Augenbrauen. Nahm er Arbeit mit nach Hause, ließ er sich nur ungern stören.
Kate stockte kurz, dann sagte sie: »Entschuldigt die Störung, Vater. Der Junge, der die Kaminfeuer betreut, wisst Ihr, wo er schläft?«
Ihr Vater runzelte die Stirn.
»Vermutlich im Keller, bei den anderen, im Dienstbotenquartier der Männer. Warum fragst du?«
Er klang verwundert.
Also wusste er tatsächlich nichts Näheres.
»Vielleicht solltet Ihr Euch das einmal ansehen?«, hakte sie nach und fügte erklärend hinzu: »Er wirkt oft so müde und seine Kleidung riecht muffig.«
Er lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf.
»Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst.«
Kate holte tief Luft. Nun durfte ihr kein Fehler unterlaufen.
»Ich habe mir überlegt, dass in diesem Haus viel Platz ungenützt ist, den man den Leuten zur Verfügung stellen könnte. Dann müssten sie nicht länger im Keller oder auf dem Dachboden schlafen.«
Er legte das Blatt auf den Tisch und starrte sie an. Auf seiner Schläfe pochte eine Ader.
»Hat Gustav dir neben seiner Gottlosigkeit auch andere verquere Ideen eingehämmert? Politischen
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